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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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überdies bloß dem Umstand verdanken, daß Sie in Unfrieden mit dem Heisler auseinander sind, kann die Haft, unter Umständen die Dunkelhaft, auf Ihr Gedächtnis einen besseren Einfluß haben. Haben Sie mich jetzt verstanden, Frau Heisler?«
     
    Sie sagte: »Ja.« – Wenn ihre Stirn im Schatten war, konnte sie denken. Was versäume ich denn, wenn er mich einsperrt? Das Büro? Zwei Dutzend Briefe täglich an Strumpffabrikanten? Dunkelhaft? Besser als dieses Licht, das einem den Kopf zerschneidet.
     
    Ihre Gedanken, die sonst halb unbewußt und verträumt waren, umfaßten sekundenlang kräftig und klar alles, was noch in Betracht kommen konnte, selbst die Möglichkeit des Todes. Ewiger Friede nach vorübergehenden Leiden und Schlägen, wie man sie einmal belehrt hatte – weder der Lehrer noch die kleine braunzopfige Schülerin hätten sich träumen lassen, dieser vagen Belehrung könnte je eine Nutzanwendung auf das tagtägliche Leben zukommen.
     
    Overkamp trat auf die Seite. Elli schloß rasch die Augen vor dem weißen Licht, das ihr den Atem nahm. Overkamp betrachtete sie von neuem mit frischer Gründlichkeit.
     
    Kein Liebhaber hätte es besser besorgt. Er hatte sich heute ein Dutzend Leute, darunter die Elli Heisler, aus dem ersten Schlaf fischen lassen. Diese junge Person hatte all seinen Fragen nichts anderes entgegengesetzt als ihr sanftes Ja oder Nein. In dem mörderischen Licht schien ihr kleines Gesicht zu zerschmelzen. Overkamp holte noch einmal aus: »Also, liebe Frau Heisler, gehen wir noch mal vom Anfang aus. In der ersten Zeit ihrer Ehe – erinnern Sie sich mal – , wie der Mensch noch richtig verliebt in Sie war – übrigens kein Wunder –, wie dann die liebe Liebe ein klein bißchen abgeflaut ist – aber man hat sich dann gleich versöhnt und dann war’s recht süß, so war’s doch, Frau Heisler? Ja – wie das Feuerchen langsam – langsam nicht mehr richtig anbrennen wollte, wie der Mann Ihnen fremd ging, damals – als Sie noch gar nicht über die Sache raus waren, wie’s dem lieben Herzen noch weh getan hat, daß die große, große Liebe flötengehen sollte – erinnern Sie sich noch?«
     
    Elli sagte leise: »Ja.«
     
    »Ja, Sie erinnern sich. Wie mal da die eine Freundin was stichelte – da die andere. Wie er zum erstenmal abends wegblieb und dann ganz ungeniert eine halbe Woche und noch ausgerechnet mit dieser Person. Sie erinnern sich?«
     
    Elli sagte: »Nein.« – »Was >nein     
    Elli versuchte den Kopf zu drehen, aber das harte Licht hatte die Macht, den Menschen festzubannen. Sie sagte leise: »Er blieb weg – das war alles.« – »Und Sie wollen sich nichtmal erinnern, mit wem?« Elli erwiderte: »Nein.«
     
    In dem Verhör, wenn die Fragen an diese Stelle vorrückten, flogen durch Ellis Kopf, ganz wie Overkamp das voraussah, dichte Schwärme unliebsamer Erinnerungen. Unter der grellen Polizeilampe geisterten sie wie Motten: die dicke Kassiererin, zwei, drei frische Mädchen, denen das rote Fichte-F auf die blauen Kittel gestickt war, eine Nachbarin, schlaksige Schmale aus Niederrad, und noch eine, auf die sie zuerst und am nachhaltigsten eifersüchtig gewesen war, weil sie gar keinen Grund dazu hatte: die Liesel Röder. Die war ja damals noch lang nicht die dicke Liesel von heute gewesen, sondern bloß ein bißchen pumpelig, rotblond und munter. War die Elli bei dem Verhör an dieser Erinnerung angelangt, dachte sie auch gleich weiter an die ganze Familie Röder, an den Franz, und an alles, was damit zusammenhing.
     
    Overkamp hatte also sein ganzes Verhör richtig wie immer aufgebaut. Seine Fragen hatten aus Ellis Gedächtnis herausgebohrt, was sie herausbohren sollten. Nur war alles inwendig geblieben, in der Frau drin, die sanft und still vor ihm saß. Overkamp hatte den Eindruck, daß das ganze Verhör, wie sie das unter sich nannten, abgeknickt war. Das war der teuflische Punkt in den schönsten Verhören, an denen der beste Polizeimann stolpern kann: das Ich, statt sich endgültig aufzulockern, um zu zerfallen unter dem zermürbenden Geklopfe von tausend Fragen, zieht sich plötzlich in letzter Sekunde zusammen und festigt sich wieder. Ja, das Geklopfe, statt zu zermürben, festigt noch mehr. Außerdem mußte diese junge Person, wenn man ihre Kräfte zermürben wollte, überhaupt mal erst wieder zu Kräften kommen. Er drehte die Lampe ab. Mildes Deckenlicht glänzte über dem beinah kahlen Raum. Elli atmete leicht auf. Unter dem Fenster, dessen Laden

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