Das siebte Kreuz
ein komisches Zeug geredet«, sagte Anton, »auch nach dir hat er mich gefragt.« Franz erschrak. »Ob du gut gelaunt bist, ob du dir ins Fäustchen lachst!« – »Warum soll ich gut gelaunt sein?« – »Das hab ich auch gefragt. Er war angesoffen. So ‘n Angesoffener hakt sich in jeden ein, schlimmer wie ‘n Vollgesoffener. Aber das ist jetzt schon sein eigenes Motorrad, er ist fertig mit der Abzahlung. Alle sind eingesetzt worden mit ihren Rädern, hat er erzählt, um die Stadt abzusuchen. Ganze Gassen hat man abgeriegelt.« – »Warum?« - »Immer noch wegen der Flüchtlinge.« – »Bei einer solchen großen Kontrolle«, sagte Franz, »kann es doch wirklich nicht schwer sein, einen einzelnen Mann zu finden.« – »Das hab ich auch meinen Vetter gefragt, aber er hat gesagt, so ‘ne große Kontrolle hätte auch en großen Haken.« – »Welchen?« – »Hab ich ihn auch gefragt. Hat er gesagt: So eine große Kontrolle war ja auch selbst schwer kontrollierbar – übrigens wird er bald heiraten, rat mal wen?« – »Anton, du verlangst zuviel von mir«, sagte Franz, »wie kann ich wissen, wen dein Vetter heiraten will.« Er verbarg seine Erregung. Hat sich dieser SS-Vetter wirklich nach seiner Laune erkundigt. »Er will das kleine Mariechen aus Botzenbach heiraten.« – »Ist das nicht eine Braut von dem Ernst?« – »Von was für ‘nem Ernst?« – »Von dem Schäfer!« Da fing der Anton Greiner zu lachen an. »He, Franz, der zählt nicht mit. Auf den Ernst ist kein Mensch nicht mal eifersüchtig.«
Das war wieder mal etwas, was der Franz nicht verstand. Aber er kam auch nicht mehr dazu, sich’s erklären zu lassen. Gleich am Stadtrand von Höchst wurden sie auseinandergerissen. Franz geriet in eine Gasse, die durch zwei große Tankfahrzeuge verstopft wurde. Alles stieg von den Rädern ab und rückte langsam nach. Die Gesichterwaren so grau wie die Luft, nur auf den metallenen Flächen, auf den Lenkstangen der Räder, auf der Flasche, die jemand aus dem Sack guckte, auf den Wölbungen der Tankwagen glänzte ein wenig Morgenlicht. Dicht vor Franz ging eine Reihe Mädchen in grauen und blauen Schürzen, ineinandergehakt, fröstelnd, mit aneinandergedrückten Schultern. Franz zwängte sein Rad durch, und die Mädchen knurrten. Hat eine »Franz« gesagt? Er drehte sich noch mal um. Aus einem einzelnen schwarzen Auge schoß ein scharfer Blick. Dieses Mädchen kannte er doch, mit seinem bös verzogenen Mund, mit seinem Büschel Haar über dem schlimm entstellten Gesicht. Er war doch schon mal auf sie gestoßen am Anfang der Woche. Sie nickte ihm spöttisch zu.
Im Umkleideraum war ein Gezischel, Holzklötzchen – Holzklötzchen. »Was ist los mit dem Holzklötzchen?« – »Es ist wieder da.« – »Was, wo – hier?« – »Nein, nein. Montag kommt es vielleicht wieder her.« – »Ach, woher wißt ihr denn das?«
»Gestern abend bin ich im Anker gewesen, da ist dem Holzklötzchen seine Tochter gekommen, die Hinkende. Er ist wieder da, sagte sie, da bin ich denn gleich mit herauf. Da hat das Holzklötzchen im Bett gesessen und seine Frau hat ihm Umschläge gemacht. Und um den Kopf hat es auch einen Umschlag gehabt. >Jesus, Holzklötzchen<, hab ich gesagt, >Heil Hitler!< – >Ja, Heil Hitlen, hat es gesagt, >das ist brav, daß du gleich zum Holzklötzchen raufkommst< – >Was ist denn da dran brav<, hab ich gesagt, >aber nun erzähl mir auch mal. Was haben sie denn mit dir angestellt, jetzt erzähl aber einmal.< – Da hat es gesagt: >Karlchen, kannst du schweigen?< – >Selbstverständlich!< – >Ich auch<, hat es gesagt. Mehr hat es nicht gesagt.«
3
Elli heftete ihre braunen Augen unverwandt auf den Mann der ihr nach stundenlangem nächtlichen Verhör kein Fremder mehr war – Overkamp. »Nehmen Sie gefälligst Ihre Gedanken zusammen, Frau Heisler. Verstehen Sie mich? Vielleicht funktioniert Ihr Gedächtnis in der Ruhe besser als beim freien Herumlaufen. Das läßt sich alles leicht feststellen.«
Ihre Gedanken waren ausgedorrt von dem grellen Licht, sie konnte bloß denken, was sie sah. Sie dachte: Diese drei Zähne in der obersten Reihe sind sicher falsch.
Overkamp stellte sich dicht vor sie hin, und das harte Licht der Lampe traf seinen eigenen ausrasierten Nacken, so daß Ellis Gesicht endlich einmal beschattet war. »Haben Sie mich verstanden, Frau Heisler?«
Elli sagte leise: »Nein!«
»Wenn Ihnen nichts in der Freiheit einfällt, die Sie ja
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