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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Fahrenberg angebrüllt hatte, die Verantwortung für die Besondere Kolonne läge nicht mehr bei ihm, sondern bei Uhlenhaut, war es ihm neblig vor den Augen. In der Kantine um ihn herum herrschte die Stimmung junger, hungriger, kräftiger Burschen, die ihre starken Zähne in die derbste, gesündeste Nahrung einschlagen: Landbrot und Zwetschenmarmelade. Alles besorgt man sich reichlich aus der Umgebung. Kommt noch dazu, daß der Lagerhaushalt in dieser Woche durch den in den Strafmaßnahmen vorgesehenen Nahrungsmittelentzug besonders gut versehen ist. Kreuz und quer über den Tisch wandern die großen Blechkannen mit Milchkaffee. Die Begleitmannschaft des Transports ist zu Gast bei der Westhofener SA. Die Burschen lachen und kauen. - »Da war eine Nummer dabei«, erzählt einer, »dem ist das Maul nicht zugeklappt, man hat ihn gleich in den Bunker gebracht, da hat man aufgemacht, da hat er reingeguckt, da hat er gesagt: Schönheit des Arbeitsplatzes.« Zillich stierte vor sich hin, wobei er sich Brot in den Mund stopfte.
     
     
     

2
     
    Ein Stück Nebel war abgetrieben, ein paar Fetzen von diesem Stück standen jetzt da und dort zwischen Marnets und Mangolds Apfelbäumen. Franz huppelte mit dem Rad über zwei Erdwellen, aber das Huppeln freute ihn heute nicht, sondern stieß ihn in seinen hohlen, übernächtigen Kopf. Wie er durch einen Nebel durchfuhr, schlug es ihm leicht und kühl vor das müde Gesicht.
     
    Wie er Mangolds Gehöft umfuhr, kam die Sonne ein klein wenig durch. Aber es blinkt jetzt nichts mehr in den abgeernteten Bäumen. Hinter Mangolds Gehöft fällt das Laub ab in unendlicher Einsamkeit. Man vergißt, daß die Höchster Fabriken dort unten im Nebel liegen, daß die größten Städte des Landes ganz nahe liegen, daß die Radfahrer rudelweise gleich die Straße herunter klingeln. Das ist die Öde, die unter dem Korn gewuchert hat. Das ist die alte Stille dreihundert Meter vor den Toren der Städte. Wenn einmal Ernst mit seinen Schafen vorbei ist, dann ist das Land erst kahl. Diese Öde ist immer noch unbezwun-gen, und wer wollte sie auch bezwingen. Jeder muß durch, jeder will durch. Heute abend wird man daheim auch ein Feuer vertragen können. Franz hat den Ernst gar nicht besonders gut leiden mögen, heute morgen vermißt er ihn, als ob das Leben selbst mit ihm fort sei in eine andere Gegend.
     
    Hat man Mangolds Gehöft im Rücken, dann ist das Land, das in Wellen abfällt in ein Nichts aus goldgrauem Dunst, so still, als ob es noch unbewohnt sei. Man könnte glauben, hier seien noch nie Menschen heraufgekommen. Hier können nie Legionen gelagert haben mit Feldzeichen und mit Göttern. Hier können niemals die Völker zusammengestoßen sein. Nie kann hier auch bloß ein einziger Mann heraufgeritten sein, um die Wildnis zu brechen, ganz allein auf seinem Eselchen, um die Brust den Panzer des Glaubens. Hier können niemals die Mächtigen an der Spitze ihrer Gefolgschaften zu den Wahlen und Festen, zu den Kreuzzügen und Kriegen gezogen sein. Dieses goldgraue Nichts da unten kann unmöglich der Ort gewesen sein, wo unzählige Male alles gewagt, alles verloren, alles noch einmal gewagt wurde. Das muß schon eine Ewigkeit her sein, seit hier etwas geschehen ist, oder es hat noch gar nichts richtig begonnen.
     
    Franz denkt: Wenn ich nur immer so weiterradeln könnte, wenn diese Straße nur nie nach Höchst führen würde. Aber es klingelt schon über ihm, und am Selterwasserhäuschen steht Anton Greiner. Den Tag möcht ich erleben, denkt Franz, an dem der hier vorbeigeht, ohne was springen zu lassen. Auf seinem Gesicht, auf dem sich soeben nichts anderes gespiegelt hat als die Stille und Öde des Herbstes, entsteht ein enger, kleinlicher Zug. Dann geht dieser Zug weg. Sein Gesicht wird traurig. Der Gedanke an Antons Braut verknüpft sich mit dem Gedanken an Elli. Aus dem Fenster des Selterwasserhäuschens kam ein warmes Lüftchen. Das Fräulein hat sich sein Öfchen angezündet. Sie hat noch eine Neuerung – eine Heizplatte mit einem Kaffeegeschirr für die Arbeiter aus den entlegenen Dörfern. »Wie kannst du denn jetzt gleich noch mal Kaffee trinken?« fragte Franz, »wo du doch jetzt erst von daheim kommst?« – »Willst du auch noch in meinem Geldbeutel sparen?« fragte Anton. Sie radelten verdrießlich bergab. Sie waren jetzt schon im Rudel. Plötzlich hupte es, eins, zwei, drei, alles flitzte nach rechts und links, kam die motorisierte SS, der Vetter von Anton Greiner. »Der hat gestern

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