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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Mädchenkopf umkreiste zärtlich seinen großen, runden Rumpf. Um seine Arme waren ähnliche Schlängelchen tätowiert. Er war früher Schweißer auf einem Kriegsschiff gewesen, er war ein verwegener Mensch, und er hatte Spaß an Verwegenheit, und er kannte andere Verwegene. Dem war das auch ziemlich Wurst, ob er kaputtgehen könnte, das reizte den eher.
     
    Paul dachte: Ja, der Woltermann! – Er war jetzt froh.
     
    Aber nur minutenlang. Dann legte sich’s ihm von neuem aufs Herz. Auf einmal kam es ihm mißlich vor, das Kostbarste, was er auf Erden besaß, in diese verwegenen, blauumschlängelten Arme zu legen. Dem Woltermann war’s vielleicht Wurst, wenn man kaputtgehen konnte. Ihm, Paul, war das gar nicht Wurst. Der Woltermann kam nicht in Frage.
     
    Es war schon bald Mittag. Er hatte sonst immer aufgeatmet, sobald die Sonne über das Holzdach kam. Das war seine Uhr: wenn das Messingkapselchen seines Zeigers aufblinkte, dann war die Pause nicht weit. Er dachte: Ich müßte ihn schon in der Pause sprechen, den, den’s gar nicht gibt.
     
    Vielleicht den Werner. Der war der verträglichste von allen. Wenn zwei sich wo stritten, der sprang hin und versöhnte sie. Wo einer mit was nicht zu Rande kam, der half aus. Und gestern hatte er ihm, dem Paul, wie ‘ne Mutter den Arm verbunden.
     
    Vielleicht war er wirklich der Rechte! Ein halber Heiliger! Und immer still. Ja – ihn, dachte Paul, gleich nachher. Im Mittagslicht blinkte das spitze Metallkapselchen. Fiedler rief leise: »He – Paul!« Paul hatte diesmal den Hebel nicht auf die Sekunde beigedreht.
     
    Nein, dachte Paul. Ihn warnte etwas in seinem Kopf, der sonst weder ahnungsvoll war, noch scharfsinnig. Der wird sich doch selbst viel zu wichtig vorkommen, der Werner. Der wird ein großes Wort fallen lassen, wenn ich ihn bitte. Irgend so ‘ne heilige Entschuldigung. Der wird doch weiter hundert Pflästerchen auflegen wollen, Streitereien schlichten, hundert Kummerchen trösten.
     
    Zum zweitenmal warnte Fiedler hinter ihm leise: »Paul!«
     
    Ach, Fiedler, der war auch nichts. Der hatte noch vorige Woche offen erklärt – als ihn Brand zur Rede stellte: Du, Fiedler, hast früher bei keinem Streik gefehlt, bei keiner Demonstration. – Die Zeiten ändern sich, und wir mit den Zeiten.
     
    Paul warf, ohne den Kopf zu drehen, nur aus den Augenwinkeln, einen Blick auf den Fiedler. Der Paul hat mich gestern auch schon mal plötzlich so sonderbar angesehen, dachte Fiedler. Drückt ihn was? – Der Fiedler war an die Vierzig, er sah fest und stark aus. Er ging immer rudern und schwimmen. Er hatte ein breites, ruhiges Gesicht, auch seine Augen blickten ruhig.
     
    In dieser Antwort an Brand, dachte Paul, ist eigentlich nichts, was gegen ihn spricht. Eine Antwort wie Luft. Nimm dir ‘ne Handvoll, was hast du schon. Die ganzen letzten Jahre hatte der Fiedler gleichmäßig ruhig, fast höflich, zu allen und allem geschwiegen. Gewiß, er war gut gewesen und anständig gegen jeden. Gewesen, dachte Paul, als sei der Fiedler soeben an der Grenze seines bisherigen Lebens angelangt, und stünde, auf Aufnahme wartend, an der Schwelle, und er, der Paul, sei der Pförtner. Ja, anständig war er gewesen. Da war die Geschichte mit dem Aufzug drüben im Bau. Sie war vor das Arbeitsgericht gekommen, eine unangenehme Geschichte. Man hatte damals zwei Leute aus ihrer eigenen Abteilung da drüben angefordert, der Aufzug war gerade montiert worden, sie waren unter den ersten, die auf und ab gondelten, ein Seil war ausgesprungen, vermutlich durch Schwertfegers Schuld, und alle vier, die gerade drin waren, hatten dann schwere Brüche weg, der Fiedler selbst einen Schlüsselbeinbruch. Sie hätten hohe Schadenersatzansprüche vor dem Gericht stellen können, sie hätten den Schwertfeger liefern können, der schließlich doch daran schuld war. Der Fiedler hatte dann alle drei bewogen, das als Bagatelle hinzustellen, auch seinen eigenen Schlüsselbeinbruch, den Schwertfeger nicht hereinzulegen. Ein ziemliches Kunststück, wenn man bedachte, daß hinter jedem betroffenen Mann die Frau mit den Kindern jammerte, um den Arbeitsunfall und das Schadenersatzgeld.
     
    Ist das genug, um Vertrauen zu Fiedler zu haben, fragte sich Paul. Vielleicht hätte Brand dasselbe getan, aus Gemeinschaftssinn oder wie die Nazis das Ding jetzt nannten. Er hätte vielleicht auch behauptet: Verantwortung müsse getragen sein, Fahrlässigkeit sei eben ein Mangel an diesem Gemeinschaftssinn, der Schwertfeger

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