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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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geschlossen war, lag ein befremdlicher, goldner Streifen, das Morgenlicht.
     
    »Sie können vorerst gehen. Halten Sie sich zur Verfügung. Wir werden Sie heute oder morgen wieder brauchen. Heil Hitler!«
     
    Elli ging in die Stadt hinein. Sie schwankte vor Müdigkeit. Sie kaufte sich in dem nächsten Bäckerladen ein warmes Schneckchen. Da sie durchaus nicht wußte, wohin, ging sie ihren alltäglichen Weg ins Büro. Ihre Hoffnung, dort niemand zu treffen als die Putzfrau und bis neun ungeschoren in einem Winkel zu hocken, ging auch nicht in Erfüllung. Der Bürochef, ein wilder Frühaufsteher, war auch schon da. »Morgenstund – Morgenstund – ich sag’s ja immer – und Sie, Elli, sind das Gold im Mund. Wenn’s nicht Sie wären, Frau Elli, würd ich drauf schwören, Sie hätten gebummelt. Werden Sie doch nicht rot, Frau Elli. Wenn Sie wüßten, wie gut Ihnen das steht – so was Zartes, so was Angegriffenes um Ihr Nasenspitzchen und die blauen Ringelchen unter den Augen.«
     
    Wenn ich bloß einmal im Leben einen richtigen Liebsten hätte, dachte Elli. Georg – auch wenn’s ihn gäbe –, er wird mich ja gar nicht mehr liebhaben. An den Heinrich will ich schon überhaupt nicht mehr denken. Franz ist ein Mann, der nicht in Frage kommt. Wenn mein Büro heut nachmittag aus ist, will ich zu meinem Vater fahren. Der freut sich dann wenigstens. Der war immer gut zu mir. Der wird immer gut zu mir bleiben.
     
     
     

4
     
    Ich bin in diesem Hof vergessen; dachte Georg, wie lang bin ich schon hier. Stunden – Tage -? Diese Hexe wird mich nie mehr herauslassen. Paul wird nie wiederkommen.
     
    Aus den Haustüren liefen Menschen durch die Vorfahrt hinein in die Stadt. »Na, Mariechen, mach’s gut. Auch schon auf den Beinen? Heil Hitler!« – »Nicht so eilig, Herr Maier, die Arbeit rennt Ihnen nicht weg.« – »Guten Morgen, mein Schatz.« - »Also, Alma, bis heut abend.«
     
    Warum sind die denn fröhlich? Über was freuen die sich denn? Weil es doch noch mal wieder Tag geworden ist. Weil die Sonne doch noch mal scheint. Waren die denn die ganze Zeit über immer weiter lustig?
     
    »Na«, sagte die Frau Grabber, da ein Hammerschlag aussetzte. Sie stand schon ein paar Minuten hinter ihm.
     
    Georg dachte: Wenn mich der Paul nun vergißt, wenn ich nun immer hierbleiben müßte an Stelle dieses Schwagers. Nachts auf der Bank in der Garage, tags hier auf dem Hof. Das ist dem Schwager zugedacht.
     
    Die Frau Grabber sagte: »Hören Sie mal, Otto! Mit Ihrem Schwager, dem Paul, hab ich über den Lohn gesprochen, falls ich mich überhaupt noch entschließe, so einen wie Sie hierzubehalten, was noch längst nicht ausgemacht ist, hundertzwanzig Mark.
     
    Na«, sagte sie noch einmal, da der Mann zu zögern schien, »machen Sie weiter. Ich werde mich an den Röder halten, der hat Sie ja vermittelt.« Georg erwiderte nichts. Sein eigenes Gehämmer schlug ihn so laut und hart wie es war, es mußte die ganze Straße aufhorchen machen. Er dachte: Wird Paul überhaupt vor Sonntag kommen? Und wenn er auch dann nicht kommt? Wie lang soll ich überhaupt auf ihn warten? Ich sollte vielleicht rasch weg, auf und davon, auf eigene Faust. – Ich will nicht immer dasselbe denken, im Kreis herum, ich will mich nicht immer in Grund und Boden denken. Hab ich Vertrauen zu dem Paul? – Ja - dann muß ich auf ihn warten.
     
    Frau Grabber war hinter ihm stehengeblieben. Er hatte sie vollständig vergessen. Sie fragte plötzlich: »Wie ist denn das eigentlich zugegangen, daß sie Ihnen den Führerschein weggenommen haben?« – »Das ist eine lange Geschichte, Frau Grabber, die erzähl ich Ihnen heut abend. Vorausgesetzt, daß wir zwei uns einigen, daß ich heut abend überhaupt noch bei Ihnen in Stellung bin.«
     
     
     

5
     
    Paul aber, auf seinem Platz, mit zusammengepreßtem Mund, breitbeinig, wenn das Verschlußstück aufsaß, auf einem Bein storchartig, wenn er den Hebel beidrehte, grübelte, welcher Mann heute morgen der rechte sei, um ihm zu helfen.
     
    Sechzehn Männer in der Abteilung, außer dem Vorarbeiter, der keinesfalls in Frage kam. Auf ihren nackten, dampfenden Rümpfen, straffen und dicklichen, alten und jungen, zeigten sich alle jene Wundmale, die ein Mensch empfangen kann, mancher bei der Geburt, mancher bei einem Raufhandel, mancher in Flandern oder in den Karpaten, mancher in Westhofen oder Dachau, mancher auf seinem Arbeitsplatz. Paul hatte tausendmal Heinrichs Narbe unter dem Schulterblatt gesehen –

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