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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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gewollt, weil sie dann später in braune Hemden gesteckt würden und zu Soldaten gedrillt.
     
    Frau Fiedler hatte dann nach und nach ihre ganze Aufmerksamkeit dem Mann geschenkt. Sie hatte den Mann beobachtet und verpflegt, fast wie es bei Kindern angebracht ist, die man um jeden Preis hochziehen muß, während alles, was ausgewachsen ist, sich auch dann und wann der Zerstörung aussetzen darf und soll. Beide waren gerade im letzten Jahr in einer Art zusammengewachsen, die sowohl gut wie schlecht war. Denn beide Fiedler hatten im ersten Hitlerjahr noch zusammengelebt wie zwei junge Leute unter der gleichen Gefahr, im gleichen kühlen Wind. Ihre Liebe war nicht angekränkelt gewesen von gegenseitiger Schonung. Später, als ihre alten Freunde nach und nach verhaftet wurden oder sich sonst zurückzogen, fragte Frau Fiedler sich oft, ob ihr Mann nun auf neue Möglichkeiten sinne oder einfach abwarte. Wenn sie ihn fragte, gab er ihr meistens dieselben unschlüssigen Antworten, die er sich selbst gab. Wie nun an diesem Abend der Fiedler nicht heimkam, legte sie all diese halben Antworten als ganze aus, und je länger sie auf ihn wartete, der die Pünktlichkeit selbst geworden war, desto sicherer war sie, irgend etwas behindere ihn, was mit ihrem alten gemeinsamen Leben in Beziehung stünde. Dieses alte, gemeinsame Leben war aber von solcher Art, daß bloß ein Hauch davon genügte, um einen ganz zu verjüngen, bloß eine Erinnerung.
     
    Schon im Flur sah sie dem Fiedler an, daß sein Gesicht belebt war und seine Augen glänzten. »Hör gut zu, Grete«, sagte er, »du gehst jetzt zu den Röders hinauf. Du kennst doch die Frau vom Ansehen, die Dicke, die Busige, und die fragst du nach dem Rezept von den Dampfnudeln, und das wird sie dir aufschreiben und noch was dazu sagen, einen Satz, auf den gibst du ganz genau acht. Entweder sagt sie: Guten Appetit! oder: Eßt nicht zuviel davon. Du mußt nur wiederholen, was sie gesagt hat. Mach auf jeden Fall einen Umweg hin und zurück. Geh sofort.«
     
    Da nickte die Frau und ging. Man war also nicht mehr in der Schwebe. Die alten Fäden waren wieder geknüpft oder nie gerissen. Kaum war sie auf Umwegen unterwegs zu Röders Wohnung, da kam es ihr vor, es müßten noch andere mit ihr aufgebrochen sein nach langer Pause, jetzt aber furchtlos.
     
    Die Röder erkannte die Fiedler nicht gleich, denn ihr Gesicht war vom Weinen geschwollen. Enttäuscht und verzweifelt starrte die Liesel auf die fremde Besucherin, ob die sich nicht doch noch in ihren Paul verwandle.
     
    Die Fiedler begriff, daß hier etwas schiefgegangen war. Sie wollte nicht heim ohne Auskunft. Sie sagte: »Heil Hitler! Verzeihen Sie, Frau Röder, daß ich da abends noch reingeschneit komm. Ich schein ja auch grad den besten Moment erwischt zu haben. Ich wollt ja nur nach dem Rezept für die Dampfnudeln fragen. Ihr Mann hat meinem zu kosten gegeben. Die sind doch Freunde. Ich bin doch die Frau Fiedler. Erkennen Sie mich denn nicht? Hat Ihnen denn Ihr Mann nichts gesagt von den Rezepten und daß ich raufkomme?
     
    Und jetzt beruhigen Sie sich doch, Frau Röder, und setzen Sie sich mal ruhig hin, und wenn ich jetzt schon mal hier oben bin, und unsere Männer sind Freunde, da kann ich Ihnen vielleicht doch etwas nützlich sein. Genieren Sie sich mal nicht, Frau Röder, wir genieren uns doch nicht voreinander. In solchen Zeiten schon mal gar nicht. Jetzt hören Sie mal mit dem Weinen auf. Jetzt setzen Sie sich mal hin. Wo drückt Sie’s denn?« Sie waren inzwischen in der Küche gelandet auf dem Sofa. Die Liesel weinte, statt aufzuhören, in frischen Strömen.
     
    »Frau Röder, Frau Röder«, sagte die Fiedler, »das ist auf jeden Fall halb so schlimm. Wenn’s ganz schlimm wird, binden wir ein Läppchen drum. Ihr Mann hat Ihnen also nichts gesagt? War er denn nicht daheim?« Die Liesel sagte weinend: »Ganz kurz.« Die Fiedler sagte: »Ist er denn abgeholt worden?« – »Er hat selbst hinmüssen.« – »Selbst?« – »Er mußte ja«, sagte die Liesel müde. Sie wischte sich rechts und links mit den nackten Armen übers Gesicht. »Die Vorladung war ja da, wie er raufkam, und er kam so spät.« – »Da kann er ja auch noch nicht zurück sein«, sagte die Fiedler. »Beruhigen Sie sich doch.« Die Liesel zuckte die Achseln. Sie sagte ganz matt, ganz abgekämpft: »Doch, er kann. Er kommt, entweder zurück oder er wird dort behalten, er wird bestimmt dort behalten.« – »Das können Sie doch noch gar nicht wissen,

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