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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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gewesen, was ihn verrückt machen konnte. Zwei quälende Sekunden verstrichen. Er konnte Pauls Gesicht nicht begreifen, der feierlichste Ernst mit einem Zusatz von Pfiffigkeit. Paul kniete sich neben ihn und untersuchte das Blech. Er sagte: »Es klappt, Georg. Um acht Uhr fünfzehn am Nebenausgang vom Olympia-Kino, ein kleiner blauer Opel. Hier ist die Nummer. Steig sofort ein.« Georg klopfte die geradegeklopfte Kante wieder krumm. »Wer ist’s?« – »Das weiß ich nicht.« – »Ich weiß nicht, ob ich’s tun soll.«- »Du mußt. Sei ruhig. Ich kenne den Mann, der’s beschafft hat.« – »Wie heißt er?« Paul sagte zögernd: »Fiedler.« Georg suchte hastig in seinem Gedächtnis, ein Wust von Gesichtern und Namen quer durch die Jahre. Doch keine Erinnerung stellte sich ein. Nur Paul wiederholte: »Der ist bestimmt anständig.« Georg sagte: »Ich tu’s.« – »Ich geh jetzt hinein«, sagte Paul, »und mach’s fertig mit meiner Tante, daß du dir jetzt gleich dein Zeug abholen kannst.«
     
    Zu Pauls Erleichterung machte die Grabber keine Einwände. Sie zog sich hinter den Tisch zurück, der fast die Kammer ausfüllte. Die tief von der Decke heruntergezogene Lampe schien auf ihr starkes Haar, die weißflammige Mähne. Auf dem Tisch lag das Hauptbuch, Tabellen, Kalender, ein paar Briefe unter dem Briefbeschwerer aus Malachit. Ein Malachitberg enthielt sowohl eine Uhr wie eine Quelle für Tinte wie eine Kluft für Federn und Bleistifte. Sie hatte als sechzehnjährige Braut an diesem Stück ihren Spaß gehabt. Es war der gewöhnlichste Tisch von der Welt, das gewöhnlichste Hofbüro. Hier gab es nichts Merkwürdiges als sie selbst. Sie hatte aus diesem Ort, an den sie verschlagen worden war, gemacht, was zu machen war. Der ganze Hof hatte zugesehen, wie ihr Mann sie verprügelt hatte. Der ganze Hof hatte zugesehen, wie sie daraufkam, zurückzuprügeln. Im Krieg waren beide geblieben: Mann und Liebster. Und auch das Kind lag schon an die zwanzig Jahre, an einem Keuchhusten erstickt, auf dem Friedhofsanteil der Ursulinen in Königstein. Wie sie damals zurückgekommen war, da hatte sie an dem Gaffen und Glotzen des Hofes gemerkt, daß ihre Geheimnisse alle bekannt waren. Ihre Fuhrleute hatten gedacht: Der ist auch mal der Atem ausgegangen. Sie hatte aufgestampft und gebrüllt: »Seid ihr zum Gaffen bezahlt? – hopp – hopp!« Von diesem Augenblick an war niemand mehr bei ihr zur Ruhe gekommen, und sie erst recht nicht.
     
    Vielleicht jetzt ein wenig, vielleicht heut abend. Soll sie diesem Menschen verbieten, sein Zeug bei den Röders abzuholen? Warum hat’s der Paul nicht gleich hergebracht? Mag er abziehen in Gottes Namen und seine Klamotten herbringen. Und was den Lohn angeht, wird man darauf zurückkommen, wenn er hier endgültig eingenistet ist. Er gefällt ihr. Sie wird ihm schon die Zunge ziehen. Er hat etwas Anheimelndes an sich. Er kommt aus derselben Gegend, in der es kalt bläst – und hinterher kommt einem jedes Lüftchen lau vor. Man könnte sagen, er ist ein Landsmann. Vor allen Dingen soll er jetzt seinen Umzug fertigmachen. Er soll im Verschlag in der Garage schlafen. Er soll das Bettgestell von ihrem toten Grabber aufschlagen – eine nutzbringende Verwertung.
     
    Paul war zu dem Georg zurückgekehrt. Er sagte: »Also, Georg –« Georg erwiderte: »Ja, Paul?« Paul zögerte mit dem Fortgehen, aber Georg sagte: »Geh – geh.« Er ging dann ohne Abschied, ohne Blick rasch auf die Gasse. In ihren Herzen spürten sie beide sofort und gleichzeitig jenes feine, unstillbare Brennen, das man nur dann spürt, wenn man ahnt, daß man sich nie mehr im Leben wiedersehen wird. Georg stellte sich so, daß er die Uhr in der Hofstube der Wirtschaft im Auge behielt. Nach einer Weile kam die Frau Grabber zu ihm heraus. »Mach jetzt Schluß«, sagte sie, »und hol deinen Krempel.«
     
    Georg sagte: »Ich will lieber hier allein alles fertigmachen, dann schlaf ich gleich die Nacht über bei den Röders.« – »Da gibt’s Masern.« – »Meine Masern hab ich hinter mir, beunruhigen Sie sich nicht um mich.«
     
    Sie blieb hinter ihm stehen, aber es gab keinen Grund, ihn anzutreiben. »Komm«, sagte sie plötzlich, »trinken wir eins auf die neue Stellung.« Er erschrak. Nur im Hof vor der Garage, in seine Arbeit vertieft, war er verhältnismäßig sicher. Er befürchtete irgendeinen Zwischenfall in der letzten Stunde. Er sagte: »Seit dem Pech, das mir passiert ist, hab ich mir vorgenommen, nichts mehr zu

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