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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Frau Röder, er muß doch auch warten. Da sind immerfort welche vorgeladen, Tag und Nacht, am laufenden Band.« Die Liesel brütete vor sich hin. Sie hatte wenigstens für Minuten ausgeweint. Auf einmal drehte sie sich nach ihrer Besucherin um: »Was für ein Rezept, Dampfnudeln? Ach nein, der Paul hat mir gar nichts gesagt. Er war doch verschreckt über die Vorladung, er mußte gleich hinjagen.« Sie stand auf und wühlte ganz tapsig mit ihren verweinten Augen in ihrer Küchentischschublade. Frau Fiedler hätte gern weiter gefragt, sie traute sich zu, aus der Liesel alles herauszufragen. Sie scheute sich aber, nach Dingen zu fragen, in die sie ihr Mann nicht einweihen wollte.
     
    Die Liesel hatte inzwischen ihr Bleistiftstümpfchen gefunden. Sie hatte aus ihrem Ausgabenheftchen eine Seite gerissen. »Ich zittere am ganzen Leib«, sagte sie. »Wenn Sie sich’s selbst aufschreiben würden!« – »Was denn aufschreiben?« fragte die Fiedler. »Für fünf Pfennig Hefe«, sagte die Liesel weinend, »zwei Pfund Mehl, soviel Milch, bis es steif wird, etwas Salz. Gut durchkneten –«
     
    Auf dem Heimweg durch die nächtlichen Straßen hätte die Fiedler sich sagen können, daß jetzt die zahllosen unbestimmten Zufälle, all die halb wirklichen, halb eingebildeten Drohungen handgreiflich wurden und Gestalt annahmen. Sie hatte keine Zeit mehr für solche Gedanken. Sie gab ausschließlich acht, daß sie den richtigen Umweg machte und daß ihr niemand folgte. Sie atmete auf. Das war wieder die alte Luft, die einem die Schläfen streifte, als ob sie vom Frost gestreift sei. Die alte Dunkelheit, in deren Schutz man Plakate geklebt hatte, Parolen auf Bretterwände gemalt, Handzettel unter die Türen gesteckt. Wenn sie jemand heute mittag gefragt hätte nach dem Stand der Arbeit, nach der Aussicht des Kampfes, sie hätte genau wie ihr Mann mit den Achseln gezuckt. Jetzt hatte sie nichts Besonderes erlebt als einen nutzlosen Gang zu einer weinenden Frau, aber sie war wieder eingestellt in ihr altes Leben, und auf einmal war alles möglich, und zwar rasch, weil es plötzlich auch an ihr lag, alles zu beschleunigen. Alles war möglich in dieser soeben angebrochenen Zeit: Umschwung aller Verhältnisse, auch ihrer eignen, rascher als man gehofft hatte, daß man noch jung genug war, gemeinsam das Glück zu nutzen nach so viel Bitternis. Freilich auch das war möglich, daß Fiedler zugrunde gehen konnte, rascher und furchtbarer als sie gefürchtet hatten, bei den Kämpfen, in die er sich einließ. Nur in Zeiten, in denen gar nichts mehr möglich ist, geht das Leben wie ein Schatten dahin. Doch in den Zeiten, in denen das Ganze möglich wird, steckt schlechthin alles Leben und Zugrundegehen.
     
    »Bist du sicher, daß niemand hinter dir her ist?« – »Ich kann darauf schwören.« – »Jetzt hör zu, Grete, ich pack jetzt das Nötigste zusammen. Wenn jemand fragt, wo ich bin, im Taunus. Du selbst machst folgendes: Du fährst in die Riederwaldsiedlung auf den Goetheblick Nummer achtzehn, da wohnt der Doktor Kreß in ‘nem schönen, gelben Haus.«
     
    »Ist das der Kreß aus dem Abendkurs? Mit ‘ner Brille? Hat immer mit dem Balzer gestritten über Christentum und Klassenkampf?«
     
    »Ja, aber wenn dich jemand fragt, du hast den Kreß nie im Leben gesehen. Ihm sag, ich laß ihm sagen: der Paul sei auf der Gestapo. Laß ihm etwas Zeit, damit er’s verdaut. Dann soll er dir sagen, wo man ihn weiter erreichen kann. Liebe Grete, gib acht, in deinem ganzen Leben hast du noch nie so ‘ne brenzlige Sache mitgemacht. Frag mich nichts. Ich hau jetzt also ab. Aber ich geh noch nicht in den Taunus. Morgen früh kommst du in die Laube hinaus. Wenn Polizei in der Nacht im Haus war, ziehst du die Windjacke an. Wenn keine da war, ziehst du dein gutes Jackenkleid an. Kommst du nicht, dann weiß ich, daß sie dich abgeholt haben. Wenn du dein neues Jackenkleid anhast, nun, dann kann ich ja ruhig in die Laube kommen. Nun, dann ist der Kelch ja vorbei. Hast du noch Haushaltungsgeld?«
     
    Grete steckte ihm die paar Mark zu, die sie noch übrig hatte. Sie packte ihm schweigend sein bißchen Zeug ein. Sie küßten sich nicht zum Abschied, sondern packten sich fest an beiden Händen. Als der Mann fort war, zog die Frau gleich die Windjacke an, denn sie war praktisch von Gemütsart; und sie sagte sich, daß sie kaum Zeit zum Umziehen haben würde, wenn es hart auf hart ging. Wenn die Nacht friedlich verlief, konnte sie morgen in aller Ruhe ihr

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