Das siebte Kreuz
trinken.« Die Frau Grabber lachte: »Wie lang willst du denn das halten?«
Er schien einen Augenblick ernsthaft nachzudenken, dann sagte er: »Noch drei Minuten.«
In der Wirtschaft wurden sie laut empfangen. Es war voll. Die Frau war ein gewohnter Gast. Nach einem kurzen Schwall von Zurufen gab es weiter kein Aufsehen mehr. Sie blieben an der Theke stehen.
Da fiel Georgs Blick auf zwei ältere Leutchen: Mann und Frau. Beide saßen sie einträchtig eingeklemmt zwischen anderen hinter ihren Biergläsern, beide dicklich, beide vergnügt. Mein Gott, das sind sie ja, die Klapprods, die Klapprods von der Müllabfuhr. Was für ein Antrag war das bloß, wo die Frau dafür war und der Mann dagegen, und sie lagen sich beide in den Haaren, bis sie plötzlich beide wütend wurden, weil wir lachen mußten. Aber umdrehn dürft ihr zwei euch jetzt nicht. Liebe Klapprods, hab ich euch noch mal gesehn. Bloß nach mir umdrehn dürft ihr euch nicht.
»Prost!«, sagte die Grabber. Sie stießen an. Jetzt kann er nicht zurück, dachte die Grabber, jetzt ist’s perfekt. – »So, jetzt geh ich zu den Röders. Danke, Frau Grabber. Heil Hitler! Auf Wiedersehen!«
Er ging hinüber und zog sich um. Den ausgeliehenen Kittel legte er ordentlich zusammen. Er dachte: Bald bring ich dir deinen Mantel zurück und alle deine Siebensachen. Ich werde dich suchen und finden, wo du auch bist. Ich werde abends in deine Vorstellung gehen. Ich werde mir deine Kunststücke ansehn. Den doppelten, ach nein, nur den einfachen Salto. Ich werde dich nachher erwarten, und einer wird dem anderen erzählen, wie er diesem Leben entkommen ist. Ich will von dir alles wissen, nichts Fremdes soll es mehr zwischen uns beiden geben. Ach, Füllgrabe sagt: Du seist tot. Wer wird auf einen Füllgrabe hören?
Er zögerte einen Augenblick in der Torfahrt, hinaus auf die Straße zu gehen. Ihm war es, er hätte hinter sich im Hof etwas liegengelassen, etwas Wichtiges, Unentbehrliches. Er dachte: Ich hab nichts liegengelassen. Ich bin ja auch schon auf der Gasse. Ich bin ja schon durch die drei Gassen. Ich bin also doch aus dem Hof heraus. Für was anderes ist es zu spät.
Er sah schon die fensterlose, mit bunten Plakaten beklebte Mauer am Ausgang der Schäfergasse, die Lichter fielen schon vor ihm auf das Pflaster, zerbrochene Buchstaben - rot und blau, jedes Sinnes bar. In seinem vergangenen Leben war schon einmal eine Nacht von solchen blauen und roten Lichtern gesprenkelt worden. Eiskalt war der Dom gewesen, und er war damals der Jüngsten einer, voll kindischer Furcht. Er ging die Schäfergasse entlang, an den parkenden Autos, er erblickte den blauen Opel, er verglich die Nummer. Sie stimmte. Wenn bloß das Ganze stimmte! Wenn sich der Paul bloß nicht hatte anschmieren lassen. Ich trag dir’s bestimmt nicht nach, Paul. Da sind noch ganz andere angeschmiert worden, bloß schad, daß das jetzt noch schiefgeht.
Die Wagentür wurde, als Georg herankam, von innen geöffnet. Der Wagen fuhr sofort los. Wie’s sonderbar riecht in diesem Kasten, so süß und schwer. Sie fuhren durch ein paar Gassen auf die Zeil. Goerg warf einen Blick auf den Mann am Steuer. Der achtete seiner so wenig, als sei er nicht eingestiegen, saß stumm und starr. Die Brille auf länglicher, dünner Nase, die Backenknochen, die vor Erregung kauen, an wen, zum Teufel, erinnert das alles? Sie fuhren gegen den Ostbahnhof zu. Georg merkte in einem flitschenden Licht, woher der schwere Geruch kam, der ihn unbestimmt beunruhigt hatte: eine einzelne weiße Nelke in einem Röhrchen neben dem Seitenfenster. Sie waren bereits hinter dem Ostbahnhof. Sie stiegen auf sechzig Kilometer, und immer noch war der Mensch am Steuer so stumm, als nehme er gar keine Kenntnis von seinem Gast. Vielleicht bin ich wirklich aus Luft, dachte Georg. An wen erinnert er mich – Gott ja - an den Pelzer! Sieh mal an. Von dieser Fahrt haben wir uns nichts träumen lassen. Nur, daß dem Pelzer die Brille zerschlagen wurde im Dorfe Buchenau, und deine ist blank und heil. Warum sprichst du nicht? Wohin fahren wir eigentlich?
Er hatte aber die Frage nicht laut gestellt, als füge er sich dem Wunsch des Mannes, als sei er gar nicht eingestiegen. Der Mann gab ihm keinen Blick; er saß ungeschickt schräg, als sei Georgs Anwesenheit erst dann wirklich, wenn er ihn berühre.
Sie ließen den Ostpark hinter sich. Er dachte: Jetzt kann die Falle gleich zuschlagen. Dann dachte er: Nein, ein
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