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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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verstehe mich doch. Wie ich von meinen Leuten weg bin zu dir, damals, ich war noch nicht zwanzig, und ich bin weg von daheim, weil mir alles daheim zuwider war, mein Vater, meine Brüder, diese Stille jeden Abend in unserem Wohnzimmer. Aber hier bei uns war es zuletzt ebenso still wie daheim.«
     
    Kreß horchte vielleicht noch erstaunter als Georg vor der Tür. Tausend Abende lang hatte er ihr die Worte zwischen den Zähnen herausziehen müssen. »Und dann noch was: Bei uns daheim gab es nichts, das sich jemals verändern durfte. Das war ihr Stolz, daß alles blieb wie es war. – Und dann du! Der mir plötzlich erklärt hat, daß selbst in den Steinen keine Sekunde lang etwas steinern bleibt und erst recht nicht in den Menschen. – Mich freilich ausgenommen! Wie? Denn von mir sagst du ja, so warst du, so bist du.«
     
    Er wartete einen Augenblick, ob sie fertig war. Er legte die Hand auf ihren Kopf. Sie sah jetzt wieder gleichmütig drein, sogar ein wenig verstockt. Er packte ihr Haar, statt darüberzustreichen. Sie war zart und zäh, zum Lieben, zu belehren, vielleicht, weiß Gott, zum Verändern. Er schüttelte sie zunächst ein wenig.
     
    Georg kam herein. Die beiden traten schnell auseinander. Warum, zum Teufel, hat er alles der Frau erzählen müssen? – In ihrem Gesicht war nicht mehr der alte Gleichmut, sondern kühle Neugierde. Georg erklärte: »Ich kann nicht schlafen. Kann ich hier bei Ihnen bleiben?« Kreß starrte ihn an, an die Wand gelehnt: kein Zweifel, der Gast war da, die Einladung unwiderruflich angenommen. Er sagte in einem Hausherrntonfall: »Was möchten Sie trinken, einen Tee? ‘nen Schnaps? Irgendeinen Saft? Oder Bier?« Die Frau sagte: »Er hat Hunger.« – »Tee oder Schnaps«, sagte Georg, »und zu essen, was Sie haben.«
     
    Mit diesen Worten waren Mann und Frau minutenlang in Bewegung gebracht. Der Tisch wurde vor ihm gedeckt. Schüsseln und Schüsselchen hingestellt. Flaschen entkorkt. Ach, essen von sieben Tellerchen, trinken aus sieben Gläschen, keinem ist’s ganz geheuer dabei, die Kreß’ essen beide nur zum Schein. Georg steckte das weiße Tüchelchen in die Tasche, guter Verband für eine zerschnittene Hand. Er zog es heraus und strich es glatt. Er war jetzt satt und zum Umfallen müde. Nur nicht allein sein müssen. Er schob die Bestecke und Teller auseinander, er legte den Kopf auf den Tisch.
     
    Der Abend war vorgeschritten, als er den Kopf wieder hob. Um ihn herum war der Tisch längst abgedeckt, das Zimmer war verraucht. Georg fand sich nicht gleich zurecht. Er fror. Kreß lehnte wieder an der Wand. Georg versuchte, Gott weiß warum, ihn anzulächeln; der Widerschein seines Lächelns erschien auf dem Gesicht seines Gastgebers genauso schief und mühselig. Kreß schlug vor: »Jetzt wollen wir doch noch trinken.« Er brachte seine Flaschen zurück. Er schenkte ein, wobei seine Hand ein wenig zitterte, so daß er verkleckerte. Gerade dieses zittrige Einschenken war’s, was Georg ganz und gar beruhigte. Ein anständiger Mann, ein Mann, den es allerlei kostet, daß er mich aufnimmt. Er hat mich aber aufgenommen.
     
    Die Frau kam zurück, sie setzte sich an den Tisch und rauchte stumm, da auch die beiden verstummt waren.
     
    Man hörte den Sand auf der Straße knirschen von raschen, leichten Schritten. Die Schritte hielten vor der Haustür. Man hörte das Scharren auf den Fliesen, als suche jemand die Schelle. Die beiden Männer zuckten zusammen, obwohl sie das Schellen erwartet hatten. »Sie haben mich zufällig vor dem Kino getroffen«, sagte Georg fest und leise. »Sie kennen mich aus dem Chemiekurs.« Kreß nickte. Wie viele ängstliche Menschen war er ruhig, sobald die Gefahr da war. Die Frau stand auf und ging ans Fenster. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck von Hochmut und etwas Spott, den es immer hatte bei aller Art von gewagten Unternehmungen. Sie zog den Laden an, spähte hinaus und meldete: »Eine Frau.« – »Machen Sie ihr auf«, sagte Georg, »aber lassen Sie sie draußen.«
     
    »Sie will dich selbst sprechen, meinen Mann. Sie sieht ganz ordentlich aus.« – »Wieso weiß sie, daß ich daheim bin?« – »Sie weiß es. Du hast um sechs Uhr mit ihrem Mann gesprochen.« Kreß ging hinaus. Die Frau setzte sich wieder zu Georg an den Tisch. Sie rauchte und warf ihm dann und wann einen knappen Blick zu, als hingen sie beide in einer Kurve oder an einer vereisten, verdammt schwierigen Steilwand.
     
    Kreß kam zurück. Georg sah ihm an, daß das

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