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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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fuhr schon kurz darauf hoch; vielleicht war eine Tür zugeschlagen. Im Halbschlaf versuchte er unter dem alten gewohnten Zwang sich alle Geräusche im Haus zu erklären: Das war die Kaffeemühle, das war das Bad. Er wollte aufstehen, wollte zu Kreß in die Küche hinunter. Er wollte kämpfen gegen den Schlaf. Aber da war es schon über ihm, und er wußte gerade noch, daß es nichts als ein Traum sein würde, was ihn von neuem bedrohte, und er wollte sich nicht hineinziehen lassen. Aber jetzt war es schon stärker als er.
     
    Er war also doch gefangen. Sie stießen ihn in die Baracke acht. Er blutete schon aus vielen Wunden, aber aus Furcht vor dem, was jetzt kommen mußte, spürte er keine Schmerzen. Er sagte zu sich: Mut, Georg. Aber er wußte, daß ihm in dieser Baracke das Furchtbarste bevorstand. Da war es auch schon.
     
    Hinter dem Tisch, der mit elektrischen Schnüren bedeckt war und mit Telefonanlagen, sonst aber mehr einem Wirtshaustisch glich – es gab auch zwischen den Drähten ein paar Pappdeckeluntersätze für Biergläser –, saß Fahrenberg selbst und starrte ihn an mit engen, spitzigen Augen, mit einem gefrorenen Lachen. Rechts und links saßen Bunsen und Zillich und drehten die Köpfe nach ihm. Bunsen lachte auf. Aber Zillich blieb finster wie immer. Er zählte ein Kartenspiel aus. Es war dunkel im Zimmer, nur über dem Tisch war es etwas heller, obwohl Georg keine Lampe sah. Einer der Drähte war dreimal um Zillichs mächtigen Rumpf geschlungen, was Georg vor Entsetzen eiskalt machte. Er dachte gleichwohl ganz klar: sie spielen wirklich mit Zillich Karten. An einzelnen Tischen sind also die Klassenunterschiede doch aufgehoben.
     
    »Komm näher«, sagte Fahrenberg. Aber Georg blieb stehen aus Trotz, und weil ihm die Knie zitterten. Er wartete, daß ihn Fahrenberg anbrüllen würde, doch Fahrenberg blinzelte nur in unbegreiflichem Einverständnis. Da wußte Georg, daß sich diese drei etwas Neues ausgeheckt hatten – etwas ganz besonders Niederträchtiges, Tückisches, etwas, was ihn in der nächsten Sekunde endgültig treffen würde im Fleisch und in der Seele. Doch die Sekunde verrann, sie sahen ihn alle drei nur an. – Sei auf der Hut, sagte sich Georg, nimm deine letzten Kräfte zusammen. Da entstand ein ganz feines Geräusch, als wenn Knochen knirschten oder sehr trockene Hölzer. Georg stutzte, er sah von einem zum andern. Da begann er zu merken, daß der Zillich in seiner ihm zugewandten Backe eine Delle hatte, als ob sein Fleisch im Schwinden sei, und ein Ohr an Bunsens schönem, länglichem Schädel war im Abbröckeln und ein Stück seiner Stirn. Georg begriff, daß alle drei tot waren, wie sie da saßen, und auch er, den sie da empfingen in ihrer ewigen Eintracht, auch er, Georg war schon tot. Er schrie laut: »Mutter!« Er packte mit seiner Hand einen Lampenständer, die Lampe schlug über sein Bein weg auf den Boden. Die beiden Kreß’ kamen heraufgelaufen. Georg wischte sich sein Gesicht ab und sah sich um in dem hellen, unordentlichen Zimmer. Er entschuldigte sich verlegen.
     
    Die Frau mit nackten, mageren Armen, mit nassem, zottigem Haar sah überaus tröstlich jung und rein aus. Sie nahmen ihn mit und setzten ihn zwischen sich an den Tisch und schenkten ihm ein und legten ihm vor von rechts und von links. »Woran denken Sie jetzt, Georg?« – »Woran das liegt, was diese Macht über uns hat – wenn ich jetzt frei wäre, ich läge vielleicht in Spanien an irgendeiner bedrohten Stelle. Ich müßte auf Ablösung warten, und diese Ablösung könnte vielleicht auch abgeknallt werden. Ich könnte auch einen Bauchschuß abkriegen, der auch nicht angenehmer ist wie die Tritte von diesen Banditen in Westhofen, und doch war mir dort ganz anders zumut. Woran liegt das? An der ganzen Prozedur? An der Macht? Oder nur an mir? – Wie lange kann ich hier bleiben, glauben Sie, schlimmstenfalls?« – »Bis Ihre Ablösung kommt«, sagte Kreß so fest, als ob er sich nicht die ganze Zeit über im stillen gefragt hätte, wie lange er dieses Warten ertragen könnte.
     
     
     

2
     
    Um diese Stunde saß Fiedler schon vor der Stadt in der Laube, die er gemeinsam mit seinem Schwager gepachtet hatte. Er hatte sich, ehe er herfuhr, vergewissert, daß seine Frau das Kleidungsstück trug, das ausgemacht war für den Fall, daß die Nacht ruhig verlaufen war.
     
    Röder hatte also bis jetzt nichts ausgesagt. Er hatte den Mittelsmann nicht verraten. Sonst wäre die Meute schon über ihm. Bis jetzt.

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