Das siebte Kreuz
Schlimmste geschehen war. »Ich soll Ihnen sagen, Georg, daß Ihr Paul auf der Gestapo ist. Der eigene Mann dieser Frau ist zur Vorsicht schon weg von daheim. Wir müssen ihr sagen, wohin wir jetzt gehen – oder Sie allein Georg, damit man Sie finden kann.« Er schenkte sich ein Glas ein.
Er hat nichts verkleckert, dachte Georg. Sein Kopf war völlig entleert, als ob man, statt etwas Neues hineinzustopfen, ihn ratzekahl ausgefegt hätte.
»Wir können Sie noch mit dem Wagen irgendwohin bringen, oder müssen wir alle weg? Zu dritt im Wagen? Irgendwohin? Gleich zum Ostbahnhof? Oder einfach weit weg in das Land hinein? Nach Kassel? Oder besser gleich trennen?« – »Ach, bitte, schweigen Sie noch einen Augenblick …«
In seinen entleerten Kopf kehrten alle Gedanken zurück. Also, Paul war hochgegangen. Halt, wieso hochgegangen? War er abgeholt worden? War er nur vorgeladen? Davon war nichts gesagt worden. Jedenfalls haben sie ihn am Wickel. Aber Paul selbst? Wenn sie ihm nachweisen konnten, daß er ihn bei sich beherbergt hatte, wenn sie das wirklich nachweisen konnten – Paul würde niemals das neue Versteck preisgeben. Kannte es Paul überhaupt? Nun, das Versteck zwar nicht. Wenn der Mittelsmann ernst war, wirklich einer von unseren Leuten, hat er ihm keinen Namen gegeben. Doch der Paul kennt die Autonummer, und das genügt, Georg erinnerte sich anderer, die stärker als Paul gewesen waren, Menschen mit Riesenkräften – schlau und erfahren in allen Kämpfen, die sie von Jugend an miterlebt hatten. Aber sie waren fertiggemacht worden, und in der Todesangst waren die Nachrichten aus allen Fugen gelaufen. Paul aber wird ihn nicht preisgeben. In Georgs Kopf vollzog sich das Wagnis, das seine ganze Kühnheit erforderte und seine rasche Entscheidung. Er vertraute dem Paul. Er wird da liegen, wo andere vor ihm gelegen haben mit zusammengebissenen Zähnen, ihre widerspenstige Stummheit wurde langsam mühelos und endgültig. Vielleicht wird er auch bloß verhört. Dämlich und klein steht er da, vorsichtig pfiffig setzt er harmlose Antworten. – Georg sagte: »Wir bleiben.« – »War’s nicht besser, auf jeden Fall weg?« – »Nein. Alles andere bringt uns nur Schwierigkeiten. Hierher will man mir Nachricht schicken. Geld und Papiere. Wenn ich jetzt weg muß, bin ich von neuem verloren.«
Kreß schwieg. Georg erriet seine Gedanken. »Wenn Sie mich wegschicken, weil Sie sich fürchten …«
Kreß sagte: »Wenn ich mich fürchten sollte, deshalb schicke ich Sie ja nicht weg. Sie allein kennen diesen Paul. Jetzt steht alles bei Ihnen.«
»Ja, gut«, sagte Georg, »sagen Sie also der Frau da draußen, wir bleiben, wo wir sind.«
Kreß ging sofort hinaus. Er gefiel Georg langsam immer besser. Die Bereitschaft, mit der sich der schwächere Teil seines Wesens nach kurzem sichtbarem Sträuben dem stärkeren unterordnete, selbst die Ehrlichkeit seiner Furcht, die sich keine Sekunde in Prahlerei und Gerede verkehrte. Er gefiel Georg auch besser als die Frau, die ihre Schachtel ausgeraucht hatte und den Rauch zerblies. Diese Frau hatte wohl noch nichts besessen, was sie fürchtete zu verlieren.
Kreß kam zurück und lehnte sich an die Wand. Sie horchten den Schritten nach, die sich gegen die Siedlung entfernten. Als es ganz still war, sagte die Frau: »Gehen wir zur Abwechslung hinauf.« – »Ja«, sagte Kreß, »wir werden ja doch nicht schlafen.«
Kreß hatte sich unter dem Dach mit ein paar hundert Büchern eingenistet. Von seinem Fenster aus konnte man sehen, daß dieses Haus am Ende der neuen Straße lag, etwas abseits der Riederwaldsiedlung. Der Himmel war klar. Lang war es her, daß Georg den freien, bestirnten Himmel gesehen hatte, am Rhein war Nebel gewesen. Er sah hinauf, wie alle, die sich in höchster Gefahr befinden, als sei er gewölbt über seinesgleichen. Die Frau zog die Läden bei und drehte die Heizung auf, was Kreß sonst alles selbst besorgte, wenn er früh nachmittags heimkam. Sie machte ein paar Stühle und eine Tischkante von Büchern frei. Jetzt wird der Paul gequält, dachte Georg, und die Liesel sitzt und wartet. Sein Herz zog sich vor Furcht und Zweifel zusammen. Hatte er recht getan, sein Leben an Paul zu knüpfen? War Paul stark genug? Jetzt freilich war es zu spät. Er konnte nicht mehr heraus. Die beiden Kreß’ verhielten sich still, sie glaubten, er sei im Einschlafen. Er aber, die Hände vor dem Gesicht, holte sich Rat bei Wallau. Daß er sich
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