Das siebte Kreuz
gemacht wird. Bis das Kind von dem Heisler selbst mit uns auf den Bau geht, wird die Banditenherrlichkeit ja doch aus sein.«
Mettenheimer erschrak. Er sah sich um. Aber soweit er feststellen konnte, waren sie allein im Herbstsonnenschein. »Wenn der Heisler aber gefangen wird«, sagte Schulz von selbst leise, »oder er ist’s vielleicht schon, denn im Radio war heute und gestern nichts mehr über ihn, dann gibt’s für den armen Menschen gar kein Entrinnen mehr, dann ist sein Leben futsch, dann braucht die Elli nicht mal mehr auf Verlassen zu klagen.«
Sie sahen vor sich hin. Über die stille, sonnige Straße verstreut lag das Laub aus den Gärten. Mettenheimer dachte: Dieser Schulz ist ein solider Arbeiter, er hat Herz und Verstand, er sieht ansehnlich aus. Einen solchen Mann hab ich mir immer für die Elli gewünscht. Warum ist er eigentlich nicht schon längst in meiner Familie? Dann hätte uns alles erspart bleiben können.
Schulz sagte: »Früher haben Sie mal die Freundlichkeit gehabt, Herr Mettenheimer, mich in Ihre Familie einzuladen. Damals hab ich keinen Gebrauch davon gemacht. Erlauben Sie mir jetzt, Herr Mettenheimer, daß ich nochmals auf Ihre Einladung zurückkomme. Aber eins versprechen Sie mir, Herr Mettenheimer, verraten Sie nichts Ihrer Elli von dem, was wir hier ausgemacht haben. Wenn ich komme, Herr Mettenheimer, und Ihre Elli ist gerade in Ihrem Wohnzimmer, das wird dann ein Zufall sein. Solche Mädchen können nicht leiden, wenn etwas vorbesprochen wird. Die wollen einen Freier haben wie den Teufel auf dem Römer im Freilichttheater.«
Wenn man zum Warten verurteilt ist, zu einem echten Warten auf Leben und Tod, von dem man im voraus nicht wissen kann, wie es ausgeht und wie lange es dauert, Stunden oder Tage, dann ergreift man gegen die Zeit die seltsamsten Maßnahmen. Man versucht die Minuten abzufangen und zunichte zu machen. Man errichtet gegen die Zeit eine Art von Deich, man versucht noch immer den Deich zu stopfen, auch wenn die Zeit schon darüber fällt. Georg, der noch immer an einem Tisch mit den beiden Kreß’ saß, hatte zuerst bei diesen Versuchen mitgemacht. Dann hatte er sich unmerklich zurückgezogen. Er war gewillt, überhaupt nicht weiter zu warten. Kreß erzählte, wie und wo er den Fiedler kennengelernt hat. Georg hörte zuerst gezwungen, dann mit wirklicher Teilnahme zu. Kreß beschrieb den Fiedler als einen unwandelbaren Menschen, der keinen Zweifeln und Ängsten zugänglich sei. – Aber ein Stimmengewirr vor dem Fenster hieß Kreß abbrechen - ein gewöhnlicher Sonntagsausflug, wie sich sofort herausstellte. Kreß versuchte etwas anderes, er stand auf und drehte am Radio, und der Bruchteil eines Morgenkonzerts stopfte ein paar Minuten Zeit. Georg bat ihn, eine Karte zu holen und sich wieder zu setzen und ihm Auskunft zu geben über etliche Dinge, die er unbedingt in seinem Leben noch wissen wollte. Keine zwei Wochen war es her, daß ein Neueingelieferter in Westhofen auf der feuchten Erde aus ein paar Spänen ein Spanien zusammengelegt hatte und mit dem Zeigefinger die Kriegsschauplätze hingezeichnet; Georg erinnerte sich, wie der Mann mit dem Holzschuh sofort darübergefahren war, als sich der Wachtposten näherte. War ein kleiner Drucker gewesen aus Hanau. Georg schwieg, und die Zeit sauste herein. Plötzlich sagte die Frau, als ob man ihr soeben eine Antwort befohlen hätte, einer von ihren Brüdern sei nach Spanien gegangen auf die Francoseite, auch ihr Jugendfreund Benno wollte hin, der Freund dieses Bruders, ihr Spielkamerad. Sie fuhr fort, um die Zeit nicht wieder aufkommen zu lassen, wie man das nächste beste packt, um eine Bresche zu stopfen. »Und ich war lange unsicher, ob ich dich oder Benno nehmen soll.« – »Mich oder Benno?« – »Ja. Er war mir an und für sich vertrauter. Aber ich wollte woandershin.« Ihr Geständnis war nutzlos, denn die paar Worte nahmen so gut wie nichts von der Zeit.
»Gehen Sie an Ihre Arbeit, Kreß, oder was Sie sonst vorhaben«, sagte Georg, »oder nehmen Sie Ihre Frau unter den Arm und machen Sie einen Sonntagsspaziergang, vergessen Sie ein paar Stunden, daß ich überhaupt da bin. Ich geh hinauf.«
Er stand auf, überraschend für Mann und Frau. »Er hat recht«, sagte Kreß, »wenn man das wirklich könnte, hätte er recht.« – »Doch, man kann«, sagte die Frau, »und ich werde jetzt Tulpenzwiebeln im Garten umsetzen.«
Röder wird mich zwar nie verraten, sagte sich Georg,
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