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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Gespinst über deinem Gesicht ist die Sonne schon blaß. Über Nacht wird man dich hier nicht suchen. Du hast Ruhe.
     
    Er versuchte, Wallau zu Rate zu ziehen. An Wallaus Ratschlägen war kein Zweifel. Wenn du sterben willst, bleib liegen. Reiß einen Fetzen aus der Jacke. Mach einen neuen Verband. Geh in die Stadt. Alles andere ist Unsinn.
     
    Er drehte sich auf den Bauch. Die Tränen liefen ihm herunter, wie er den eingetrockneten Fetzen von seiner Hand abzog. Dann wurde ihm nochmals schlimm, wie er seinen Daumen ansah, ein steifes, schwarzblaues Klümpchen. Er wälzte sich auf den Rücken, wie er mit den Zähnen den frischen Knoten anzog. Morgen mußte sich jemand finden, der ihm die Hand in Ordnung brachte. Er erwartete plötzlich vom kommenden Tag alles mögliche, als ziehe einen die Zeit von selbst im Fließen mit sich.
     
    Je dichter der Dunst auf dem Acker wurde, desto stärker blauten die Herbstzeitlosen. Georg sah sie erst jetzt. Wenn er vor Nacht nicht bis Frankfurt kam, könnte er Leni vielleicht eine Nachricht schicken. Dafür die Mark ausgeben, die er in der Jacke gefunden hatte? Seit seiner Flucht hatte er nicht mehr an Leni gedacht, höchstens so, wie er an irgendein Wegmal gedacht hatte, an den ersten grauen Stein. Wieviel Kraft er verschwendet hatte, wieviel kostbaren Schlaf für Träume! Um dieses Mädchen, das ihm das Glück auf den Weg gestellt hatte, einundzwanzig Tage genau vor seiner Verhaftung. Aber ich kann sie mir nicht mehr vorstellen, dachte er. Wallau kann ich und alle andern. Wenn er den Wallau auch am deutlichsten sah, auch die andern sah er nur deshalb undeutlich, weil sie im Nebel jetzt schummrig waren. Wieder einmal ist der Tag zu Ende, einer der Wachtposten geht dicht neben ihm, spricht ihn an: »Na, Heisler, wie lang werden wir das noch schaffen?« Dabei sieht er ihn an mit einem merkwürdig listigen Blick. Georg schweigt. Die Erkenntnis, daß er verloren ist, vermischt sich mit den ersten Gedanken an Flucht.
     
    Über die Chaussee fuhren die ersten Lichter. Georg überstieg den Graben. Ein Ruck in seinem Kopf: mich bekommt ihr nie. Er war mit demselben Ruck auf einem Brauereiauto. Dann war ihm schwindlig vor Schmerz, weil er beim Sprung mit der kranken Hand zugepackt hatte. Sie fuhren sofort, wie ihm schien, in Wirklichkeit erst nach einer Viertelstunde, in einen Hof in einer Gasse von Oppenheim. Der Fahrer merkte erst jetzt, daß er einen Passagier gehabt hatte. Er brummelte: »Wird’s bald!« Weil ihm etwas an Georgs Abspringen, an seinen ersten taumeligen Schritten auffiel, drehte er nochmals den Kopf: »Willst du vielleicht nach Mainz?« – »Ja«, sagte Georg. »Wart mal«, sagte der Fahrer. Georg hatte die kranke Hand in die Jacke gesteckt. Er hatte den Fahrer bisher nur von hinten gesehen. Und auch jetzt sah er sein Gesicht noch nicht, denn der Fahrer schrieb gegen die Wand auf einen Lieferblock. Dann ging er aus der Torfahrt über den Hof.
     
    Georg wartete. Die Straße vor dem Tor stieg etwas an. Hier gab es noch keinen Nebel, ein Sommertag schien zu Ende zu gehen, so weich war das Licht auf dem Pflaster. Gegenüber war eine Spezereihandlung, nebenan eine Wäscherei, danach ein Metzger. Die Ladentüren bimmelten. Zwei Frauen mit Paketen, ein Junge, der in ein Würstchen beißt. Macht und Glanz des gewöhnlichen Lebens, wie hat er es früher verachtet. Hineingehen können, anstatt hier zu warten, Geselle des Metzgers sein, Ausläufer bei der Spezereihandlung, zu Gast in einer dieser Wohnungen. Er hatte sich in Westhofen eine Straße anders vorgestellt. Er hatte geglaubt, einem jeden Gesicht, einem jeden Pflasterstein sei die Schande anzusehen, und Trauer dämpfte die Schritte und Stimmen und selbst die Spiele der Kinder. Die Straße hier war ganz ruhig, die Menschen sahen vergnügt aus.
     
    »Hannes! Friedrich!« rief eine alte Frau aus dem Fenster über der Wäscherei zwei SA-Burschen an, die mit ihren Bräuten daherspazierten. »Kommt rauf, ich koch euch Kaffee.« Gingen Meißner und Dieterling auch so auf Urlaub mit ihren Bräuten spazieren? Wie die vier nach einem kurzen Gewisper »ja« hinaufschrien und in das Häuschen hineinpolterten und die Frau ihr Fenster schloß mit einem guten, zufriedenen Lächeln, weil sie jetzt hübsche junge Gäste bekam, vielleicht Verwandte, da übermannte Georg eine solche Traurigkeit, wie er nie im Leben eine gekannt hatte. Er hätte geweint, wenn ihn nicht jene Stimme beschwichtigt hätte, die einem im traurigsten Traum

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