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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Preis des Brotes und seine Güte und über die Kinder und Männer, die es zu beißen kriegten – war es wirklich all die Zeit über nie abgebrochen? Was du dir einbildest, Georg, sagte er sich, es brach nie ab, nie wird es abbrechen. Er aß im Gehen. Er klopfte sich etwas Mehlstaub von Helwigs Jacke. Er sah durch ein Tor in einen Hof, in dem ein Brunnen stand, und wie er sah, daß dort Buben tranken, den Becher benutzend, der an einer Kette hing, ging er hinein und trank. Dann ging er weiter, bis zu einem sehr großen weiten Platz, der trotz Laternen und Menschen dunstig und leer aussah. Er hätte sich jetzt gern niedergesetzt. Das wagte er nicht. Es fing unterdes zu läuten an, so nah und stark, daß die Mauer dröhnte, an die er sich vor Erschöpfung gelehnt hatte. Da sich der Platz vor ihm lichtete, kam es ihm vor, der Rhein könnte nicht gar weit sein. Er fragte ein Kind, das ihm flink erwiderte: »Wollen Sie sich heut noch ertränken?« Worauf er erst merkte, daß dieses Mädchen kein Kind mehr war, sondern nur schmächtig und sonst frech und gierig. Sie zögerte, ob er ihre Begleitung zum Rhein hinunter verlangte. Aber sie hatte gerade im Gegenteil bewirkt, daß die Gedanken, an denen er immerfort würgte, zu einem Abschluß kamen. Ja nicht mehr über eine der großen Brücken aufs andere Ufer gehen, sondern hier in der Stadt übernachten. Gerade jetzt mußten die Brückenköpfe doppelt bewacht sein. Das Schwerere war das Vernünftigere. Sich auf dem linken Ufer halten. Eine andere Gelegenheit ausfindig machen, um tiefer unten auf das andere Ufer zu kommen. Seine Stadt nicht direkt erreichen, sondern auf weitem Umweg. Er sah dem Mädchen gedankenlos nach. Ob ihn etwas an ihrem raschen unregelmäßigen Gang an sein Mädchen erinnerte, ob ihn jedes Mädchen an sie erinnert hätte? Auf den Bruchteil einer Sekunde gelang ihm ihr Bild. Freilich auch nur im Weggehen, und genauso wie dieses Mädchen hatte sie damals noch einmal mit den Achseln gezuckt. Unterdessen hatte das Läuten aufgehört. Und die plötzliche Stille auf dem Platz, da auch das Zittern aufhörte in der Mauer, an der er lehnte, als ob sie gleichsam von neuem versteinerte, brachte ihm nochmals zum Bewußtsein, wie stark und mächtig das Geläute gewesen war. Er trat sogar weg und sah nach den Türmen hinauf. Es wurde ihm schwindlig, bevor er die oberste aller Spitzen gefunden hatte, denn über den beiden nahen gedrungenen Türmen erhob sich noch ein einzelner Turm in den Herbstabendhimmel mit einer solchen mühelosen Kühnheit und Leichtigkeit, daß es ihn schmerzte. Dann aber dachte er plötzlich, daß es in einem so großen Haus nicht an Stühlen fehlen könnte. Er suchte sich einen Eingang. Eine Tür, kein Tor. Er wunderte sich, daß er wirklich hineingelangte. Er fiel auf das nächste Ende der nächsten Bank. Hier, dachte er, kann ich mich ausruhen. Er sah sich dann erst um. So winzig war er sich nicht einmal unter dem weiten Himmel vorgekommen. Wie er die drei, vier Frauen entdeckte, da und dort, so winzig wie er selber, und den Abstand begriff zwischen sich und dem nächsten Pfeiler und den Abstand zwischen den einzelnen Pfeilern und von seinem Platz aus kein Ende sah, weder über sich noch vor sich, sondern nur Raum und wieder Raum, da staunte er ein wenig; und das war vielleicht an allem das Staunenswerteste, daß er sich einen Augenblick vergaß.
     
    Der Küster aber, fest auftretend, da ihm der Ort ja gewohnt war, und weil er tat, was sein Beruf war, machte dem Staunen sogleich ein Ende. Er trabte zwischen den Pfeilern daher und verkündete laut und fast ärgerlich: »Schließung des Doms«, und zu den Frauen, die sich von ihrem Gebet nicht trennen konnten, sagte er mehr belehrend als tröstend, der Herrgott sei auch noch morgen da. Georg war vor Schreck aufgesprungen. Die Frauen gingen langsam hinaus durch eine ihnen nähere Tür an dem Küster vorbei. Georg ging zurück zu der Tür durch die er gekommen war. Diese Tür war aber bereits geschlossen, und er mußte sich eilen, um quer durch das Hauptschiff den Frauen nachzukommen. Da zuckte es ihm durch den Kopf. Statt vorzulaufen, duckte er sich hinter einem großen Taufstein und ließ den Küster abschließen.
     
     
     
    Ernst der Schäfer hat seine Schafe eingetrieben. Er pfeift seinem Hündchen. Abend ist es hier oben noch nicht. Über den Hügeln und Bäumen ist der Himmel erst blaßgelb, wie das Leinen, das die Frauen zu lange in ihren Schränken aufbewahren. Auf dem Tal liegt der

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