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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Holzstapel zurück. Sie horchte auf. Dann hielt sie sich beide Ohren zu und jammerte: »Ausgerechnet in Buchenau muß sich der Kerl verstecken. Das fehlt mir noch grad. Dieser Bandit. Wie so ein toller Hund Montagmorgen in ein anständiges Dorf rein. Wenn er schon durchbrennt, kann er sich nicht im Moor verstecken? Muß er denn uns da alle mit reinziehen? Gibt es nicht Weiden genug am Wasser, wo er sich hineinsetzen kann?«
     
    »Faß den Korb an«, sagte die alte Frau. »Pitschnaß ist die Wäsche. Hätt das nicht nach dem Essen Zeit gehabt?« – »Jedes, wie’s ihm die Mutter gezeigt hat. Ich bügel naß.«
     
    In diesem Augenblick gab es auf der Straße hinter dem Tor ein solches Aufjohlen, wie es menschliche Stimmen gar nicht herausbringen. Aber auch tierisch war es nicht. Irgendwelche Geschöpfe, von denen man gar nicht gewußt hatte, daß es sie auf der Welt gab, mußten sich plötzlich hervorgewagt haben – Georgs Augen fingen bei diesem Gejohl zu glühen an, die Lippen zogen sich von den Zähnen. Seine Kehle spannte sich, als hätte er selbst etwas beherbergt, das jetzt herausjohlen mußte, mit seinesgleichen. Aber zugleich erhob sich in seinem Innern, leise und rein und klar, eine unverletzbare, unübertönbare Stimme, und er wußte, daß er sofort bereit war zu sterben, wie er zwar nicht immer gelebt, aber immer zu leben gewünscht hatte; kühn und ruhig.
     
    Die beiden Frauen hatten den Korb abgestellt. Und ein schwarzes Netzwerk von Falten, grob und weitmaschig bei der jüngeren, fein und dicht bei der alten, zeigte sich auf ihren erbleichten, von innen hellen Gesichtern. Aus dem Haus sausten die Buben durch den Hof auf die Straße. Dann wurde wieder von außen gegen das Tor getrommelt. Die alte Frau löste sich aus ihrer Erstarrung, sie packte den großen Riegel, den sie, vielleicht zum letztenmal in ihrem Leben, nun doch aus eigener Kraft zurückschob. Eine Menge aus Pimpfen, alten Weibern und Bauern und SA-Leuten stürzten übereinander in den Hof und sie schrien: »Mutter, Mutter! Frau Alwin! Mutter, Anna, Frau Alwin, wir haben ihn. Guck, guck, nebenan bei den Wurms, in der Hundehütte hat er gesessen. Und der Max war mit dem Karl auf dem Acker. Eine Brille hat er gehabt, der Kerl, die ist ihm jetzt dahin! Die braucht er nicht mehr. Auf dem Algeier seinem Auto wird er weggeschafft. Grad nebenan bei Wurms, wie schad. Guck doch noch, Mutter, guck!«
     
    Die jüngere Frau erwachte auch aus ihrer Betäubung; sie ging auf das Tor zu mit dem Gesicht eines Menschen, der unwiderstehlich zu dem einzigen Anblick hingezogen wird, der ihm verboten ist. Sie reckte sich auf die Fußspitzen. Sie warf einen einzigen Blick über die Menschen weg, die sich auf der Straße um Algeiers Auto drängten. Dann wandte sie sich ab, bekreuzigte sich und lief ins Haus. Die alte Frau folgte ihr, mit dem Kopf wackelnd, als sei sie plötzlich zur Greisin geworden. Der Wäschekorb blieb zurück. Der Hof war jetzt still und leer.
     
    Mit der Brille! dachte Georg. Das war dann Pelzer. Warum kam er hierher?
     
    Eine Stunde später entdeckte Fritz das verpackte Maschinenteil an der äußeren Hofmauer. Seine Mutter und seine Großmutter und ein paar Nachbarn kamen dazu und wunderten sich. Sie entnahmen dem Firmenzettel, daß das Maschinenteil aus Oppenheim kam und für die Darre-Schule bestimmt gewesen war. Nun mußte einer von den Alwins schon wieder den Motor anlassen. Mit dem Auto waren es freilich nur ein paar Minuten nach der Schule. Sie fragten ihn aus, was sein Bruder, der wieder auf dem Acker war, von der Ablieferung des Flüchtlings erzählt hatte.
     
    »Hat man ihn versohlt?« fragte Fritz, von einem Fuß auf den andern tretend, mit funkelnden Augen.
     
    »Versohlt?« sagte Alwin. »Dich soll mal einer gehörig versohlen. Ich hab mich wirklich gewundert, wie man den Kerl dort noch anständig dazu behandelt hat.«
     
    Man hatte ihm, Pelzer, sogar von Alwins Wagen heruntergeholfen. Sein Körper, auf Schläge und Tritte gespannt, wurde locker, wie man ihn unter den Achseln faßte und ganz behutsam hereinführte. Er konnte ohne Brille den Gesichtern nicht anmerken, von welcher Art diese Behutsamkeit war. Wie verraucht war alles. Bodenlose Erschöpfung überwältigte diesen Mann, da alles für ihn verloren war. Er wurde nicht in die Kommandantenbaracke gebracht, sondern in den Raum, den sich Overkamp eingerichtet hatte. »Setzen Sie sich, Pelzer«, sagte Kommissar Fischer ganz friedlich. Augen und Stimme, wie sie den

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