Das siebte Kreuz
den vorderen Marnets lieber gewesen«, sagten die Kameraden. »So ist das immer mit den Geschenken bei feierlichen Gelegenheiten«, sagte Hermann. »Und dann muß die Else bei der Ernte und bei der Wäscherei und beim Schlachten noch rauf und helfen, weil sie ja zur Familie gehört.« Else selbst aber hatte sich nur gefreut über ihr Besteck, über die ganze neue Einrichtung. Sie hatte ein rundes Gesichtlein, achtzehnjährig, Moosäugelchen. Hatte er richtig getan, fragte sich Hermann, das Kind zu holen? Weil sie gar lieb und jung war, er aber jetzt schon seit Jahren und in den letzten drei Jahren unerträglich allein?
Jetzt sang die Else in der Küche. Ihre Stimme war weder besonders stark noch besonders rein, aber gerade weil sie nur eben drauflos sang, sprang es daher wie ein Bächlein, bald traurig, bald fröhlich, wie es einem gerade selbst zumut war.
Hermann runzelte die Stirn mit einem schwachen Schuldgefühl. Sie stellten ihr Schachbrett zwischen sich. Sie machten gedankenlos ihre drei Züge, mit denen sie gewöhnlich dieses Spiel einleiteten. Franz fing an zu erzählen. Er hatte den ganzen Tag über so stark auf diese Minute gewartet, daß er jetzt aus der Erleichterung, endlich alles erzählen zu können, etwas verworren erzählte. Hermann fragte zuweilen kurz dazwischen. Ja, auch er hatte schon etwas Unbestimmtes gehört. Jedenfalls müsse man alles bereithalten. Möglich, daß etwas daran war, jemand auftauchte, der Hilfe brauchte. Hermann verschwieg selbst Franz, was er selbst gehört hatte: daß der ehemalige Bezirksleiter Wallau, ein sehr guter Mann, den er früher selbst gekannt hatte, aus dem Lager Westhofen entflohen sei. Er hatte sogar gehört, daß die Frau Wallau bei der Flucht ihre Hand im Spiel gehabt hatte, ein Umstand, der ihn stark beunruhigte. Denn, wenn es wirklich der Fall war, hätte es niemand wissen dürfen. Dieser Georg aber, nach dem Franz wieder fragte, nein, davon hatte er gar nichts gehört.
»Man muß nachdenken«, sagte er, »eine gelungene Flucht ist immer etwas.«
8
Franz war sicher nicht der einzige, der in dieser Herbstnacht wach lag und dachte: Wie, wenn meiner dabei wäre? Er war gewiß nicht der einzige, der sich quälte, unter den Flüchtlingen aus dem Lager könnte der sein, den er meinte. Franz wälzte sich hin und her auf dem Bett in der Kammer, die er sich ausbedungen hatte, seit er für seinen Unterhalt etwas zahlte. In aller Eile hatte man gestern abend noch ein paar Bretter an die Wand genagelt, denn die Apfelernte war überreich.
Franz stand noch einmal auf und steckte den Kopf durchs Fenster, weil ihn der Apfelgeruch betäubte. Er war froh, wenn man Dienstag zum Markt wieder ausräumte. Obwohl er gar keine Lust mehr hatte und ihm der Bauch voll davon war, nahm er doch wieder einen Apfel, aß ihn hastig auf und warf den Grützen in den Garten. Die Glaskugel auf der Stange, die bei Tag schön blau leuchtete über den Stiefmütterchen und dem Goldlack, schimmerte jetzt ganz silbrig, als sei der Mond selbst vom Himmel in den Garten gekullert. Da das Land anstieg, begann der Himmel gleich hinter dem Zaun; von Sternen funkelnd, in friedlicher Nachbarlichkeit.
Franz seufzte. Er legte sich wieder. Warum soll gerade er dabeisein, dachte er zum hundertstenmal. Er dachte auch: er oder ein anderer. – Für Franz war der, den er meinte, Georg, sein Freund aus früheren Jahren, ja, war er denn eigentlich sein Freund? Gewiß, sogar mein bester, mein einziger, dachte Franz plötzlich. Er war ganz verstört durch diese Einsicht.
Wann hatte er Georg kennengelernt? Im Jahre 27 im Fichte-Ferienlager. Aber nein, viel früher. Er war ihm schon auf dem Eschenheimer Fußballplatz begegnet, kurz nach ihrer Schulentlassung. Er, Franz, war ein so schlechter Fußballspieler gewesen, daß sich niemand um ihn gerissen hatte. Er machte sich deshalb auch lustig über solche Burschen wie Georg, die an nichts als an Fußball dachten.
»Du, Georg, hast statt ‘nem Kopf’nen Fußball auf den Schultern.« Georg hatte kleine spitze Augen bekommen. Sicher hatte ihm Georg am nächsten Nachmittag den Ball nicht zufällig auf den Bauch gelandet. Franz war dann vom Fußballplatz weggeblieben, der eben doch nicht das Feld war, auf dem er sich ausspielte, obwohl es ihn immer wieder hinlockte. Er träumte sogar noch später manchmal, er sei der Torwart der Eschenheimer geworden.
Vier Jahre später hatte er Georg in einem Kurs wiedergetroffen, den
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