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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Leitung im Treppenhaus. Ich stand in der Tür, und er sah mich von seinem Stuhl aus an. Er hatte ganz ruhige, graue Augen, und diese spitzen komischen Pünktchen, vor denen ich als Junge immer Angst gehabt hatte, waren weg aus seinen Augen. Er sagte: »Ich werde uns, weißt du, die ganze Bude mal anstreichen. Und aus der Kiste werde ich dir ein Gestell machen für deine Bücher und aus der guten Kiste da mit dem Schloß einen kleinen Schrank wie neu, paß mal auf.«
     
    Kurz darauf verlor Franz selbst seine Arbeit. Sie legten ihr Stempelgeld zusammen und ihre Gelegenheitsverdienste. Ein unvergleichlicher Winter, dachte Georg, mit nichts zu vergleichen, was er früher oder später erlebt hatte. Ein kleines, schräges, inzwischen gelbgestrichenes Zimmer. Schneeplacken auf den Dächern. Wahrscheinlich hatten sie damals viel gehungert.
     
    Wie allen, die wirklich über den Hunger nachgedacht, ihn wirklich bekämpft haben, machte ihnen an allem Hunger der Welt der eigene Hunger den geringsten Eindruck. Sie arbeiteten und lernten und gingen gemeinsam demonstrieren und auf Versammlungen; sie wurden gemeinsam herbeigerufen, wo immer man in ihrem Bezirk zwei ihresgleichen brauchte. Und wenn sie allein waren, dann entstand nur dadurch, daß Georg fragte und Franz antwortete, »unsere gemeinsame Welt«, die sich von allein verjüngt, je länger man in ihr verweilt, und die wächst, je mehr man von ihr nimmt.
     
    So sah das wenigstens alles für Franz aus. Georg wurde mit der Zeit stiller und fragte weniger. Ich muß ihn damals bestimmt irgendwie verletzt haben, dachte Franz. Warum hab ich ihn zum Lesen zwingen wollen? Ich muß ihn damit gequält haben. Georg sagte freimütig, daß er alles doch nicht behalten könnte, das sei nicht alles für ihn. Und jetzt blieb er manchmal über Nacht bei seinem alten Fußballfreund Paul, von dem er sich auslachen ließ, warum er denn plötzlich so hochgestochen sei und immerzu Reden halte. Georg schien sich zu öden, wenn Franz wegging. Er übernachtete manchmal wieder bei seinen eigenen Leuten, und öfters nahm er mal seinen eigenen jüngeren Bruder herauf, ein winziges dürres Teufelchen mit lustigen Augen. Franz dachte: Damals fing es schon mit ihm an. Er war unbewußt enttäuscht. Wahrscheinlich hatte er geglaubt, wenn er mein Zimmer mit mir teilt und mich hat… Das Zimmer langweilte ihn bald, ich blieb anders als er. Ich machte ihn wohl einen Abstand fühlen, einen Abstand zwischen ihm und mir, wo es in Wahrheit keinen gab, denn ich hatte ein falsches Maß.
     
    Georg wurde gegen Ende des Winters unruhig. Jetzt ging er viel weg. Er wechselte ziemlich häufig seine Mädchen und nach der seltsamsten Regel. Das schönste Mädchen in seiner Fichtegruppe ließ er plötzlich stehen und nahm sich ein närrisches, etwas verwachsenes Ding, eine Modistin bei Tietz. Er machte der jungen Bäckersfrau den Hof, bis es Krach mit dem Bäcker gab. Dann ging er plötzlich aufs Wochenende mit einer mageren kleinen Genossin mit einer Brille. »Die weiß noch mehr als du, Franz«, sagte er später. Einmal sagte er: »Du bist kein Freund, Franz. Von dir erzählst du nie was. Ich führ dir all meine Mädchen der Reihe nach vor und erzähl dir alles. Du hast aber sicher etwas im Hinterhalt, was ganz Feines, Festes.« Franz erwiderte: »Du kannst dir eben nicht vorstellen, daß man auch eine Zeitlang allein leben kann.« Franz dachte: Ich habe die Elli Mettenheimer am zwanzigsten März neunzehnhundertachtundzwanzig kennengelernt gegen sieben Uhr abends kurz vor Postschluß. Wir standen am selben Postschalter. Sie trug Korallenohrringe. Beim zweitenmal in der Anlage hat sie die Ohrringe abgezogen und in ihr Täschchen gesteckt, auf meine Bitte. Ich habe zu ihr gesagt, nur Negerweiber tragen solch Zeug in den Ohren und durch die Nase. Sie hat gelacht – und eigentlich war es auch schad. Die Korallen waren ja schön in dem braunen Haar.
     
    Er hatte seine Bekanntschaft Georg vorenthalten. Sie trafen ihn eines Abends zufällig auf der Straße. Georg sagte später: »Na ja.« Sooft Franz heimkam am Sonntagabend, fragte ihn Georg mit einem versteckten Lächeln: »Wie war’s?« Die spitzigen Punkte in seinen Augen hatten sich ungeheuer vermehrt. Franz runzelte die Stirn. » Sie ist nicht so«, erwiderte er.
     
    Einmal sagte ihm Elli ab. Er gab ihrem strengen Vater schuld, dem Tapezierer Mettenheimer. Er paßte Elli montags am Büro ab. Sie lief ihm weg, rief, sie habe es eilig und sprang auf die nächste

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