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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Elektrische. Er merkte die ganze Woche, daß Georg ihn unausgesetzt beobachtete. Er hätte ihn jetzt hinausschmeißen mögen. Aufs Wochenende machte sich Georg besonders ordentlich zurecht. Er sagte beim Weggehen zu Franz, der auf dem Fensterbrett seine Bücher bereitlegte, um über Sonntag einen Kurs vorzubereiten: »Viel Vergnügen, Franz.« Sonntagabend kam Georg zurück, braun und lustig. Er sagte zu Franz, der vor dem Fensterbrett saß, als sei er inzwischen nicht aufgestanden: »Auch das muß gelernt sein.« Ein paar Tage später traf Franz die Elli plötzlich auf der Straße. Da machte sein Herz einen Sprung. Ihr Gesicht war rot und heiß. Sie sagte: » Lieber Franz, ich will es dir lieber selbst sagen. Georg und ich – sei mir nicht böse. Man kann nichts dagegen machen, weißt du, dagegen ist kein Kraut gewachsen.«
     
    Er hatte »schon gut« gesagt und war weggelaufen. Er lief stundenlang herum in einer vollständigen Dunkelheit, in der nur zwei rote Pünktchen glühten, Korallenohrringe.
     
    Georg saß auf dem Bett, als Franz heraufkam, Franz fing sofort an, sein Zeug zusammenzupacken. Georg
    beobachtete ihn scharf. Sein Blick hatte sogar die Kraft, das Gesicht des anderen zu wenden, obgleich Franz nur den einzigen Wunsch hatte, in seinem ganzen Leben nie mehr in Georgs Augen zu sehen. Georg lächelte ein wenig. Jetzt hatte Franz den brennenden Wunsch, ihm mitten ins Gesicht zu schlagen, ja womöglich in die Augen. Die Sekunde, die jetzt folgte, war wahrscheinlich in ihrem gemeinsamen Leben die erste, in der sie einander völlig verstanden. Franz erlebte, daß alle Wünsche, die bis zu dieser Sekunde sein Handeln bestimmt hatten, ausgelöscht waren bis auf einen. Georg wünschte vielleicht zum erstenmal aufrichtig, aller Wirrnis enthoben zu sein, auf ein einziges Ziel gerichtet, außerhalb seines verworrenen, unruhigen Lebens. Er sagte ruhig: »Meinethalben, Franz, brauchst du nicht auszuziehen. Wenn’s dir zuwider ist, länger mit mir zusammen zu sein – sicher, jetzt kann ich’s verstehen, war’s dir immer ein bißchen zuwider –, ich bleib ja sowieso hier nicht wohnen. Elli und ich, wir werden sofort heiraten.« Franz hatte nichts sagen wollen, jetzt entfuhr es ihm doch: »Du? Elli?« – »Ja, warum nicht?« sagte Georg. »Die ist doch anders als alle anderen. Das ist für immer. Ihr Vater wird mir auch Arbeit verschaffen.«
     
    Ellis Vater, der Tapezierer, dem dieser Schwiegersohn vom ersten Blick an gegen den Strich war, bestand auf der raschesten Heirat, da schon geheiratet werden mußte. Er bezahlte ein Zimmer, weil er, wie er sich ausdrückte, nicht vor Augen haben wollte, wie man seine Lieblingstochter zugrunde richte.
     
    Franz, auf dem schmalen Bett in der Apfelkammer, die Arme unter dem Kopf verschränkt, erinnerte sich an jedes Wort, das damals gefallen war, an jeden Wechsel in Georgs Gesicht. Er hatte sich jahrelang nicht daran erinnern wollen. War ihm trotzdem etwas ins Gedächtnis gekommen, dann war er zusammengezuckt. Jetzt ließ er langsam alles an sich vorbeiziehen. Er spürte nichts als Erstaunen. Er dachte: es tut ja nicht mehr weh. Es ist mir einerlei. Furchtbare Dinge müssen inzwischen geschehen sein, daß alles nicht mehr weh tut.
     
    Franz sah Georg drei Wochen später von weitem in der Bockenheimer Anlage auf einer Bank mit einem unglaublich dicken Frauenzimmer. Er hatte den Arm hinter ihren Rücken geschoben, kam aber nicht ganz rum. Elli zog schon vor der Geburt ihres Kindes zu ihren Eltern zurück. Der Vater aber, erfuhr nun Franz von den Nachbarn, drängte auf einmal die Tochter, zu ihrem Mann zurückzukehren, denn seine Meinung war: Du hast ihn ja geheiratet, du hast jetzt auch ein Kind von ihm, jetzt mußt du mit ihm auskommen. Inzwischen hatte Georg seine Arbeit wieder verloren, weil er herumgehetzt hatte, wie sein Schwiegervater sagte. Elli ging wieder ins Büro. Franz erfuhr kurz vor seiner Abreise, Elli sei endgültig in ihre eigene Familie zurückgekehrt.
     
    Es gibt ein Kinderspiel, darin bestehend, daß man einer vielfarbigen Zeichnung verschiedenfarbige Gläser auflegt. Je nach Glasfarbe sieht man ein anderes Bild. Damals sah Franz durch ein Glas, das ihm sein Freund nur bei ganz bestimmten Handlungen zeigte. Durch andere Gläser sah er nicht. Er verlor ihn bald aus den Augen. Franz war die Stadt verleidet, er suchte einen Ortswechsel. Solche Tragweite hatte für Franz diese Geschichte, die vielleicht bei einem andern bloß mit einer Prügelei geendet

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