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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Hof auszuwaschen, bevor die Kelter aufgestellt wird? Man muß statt dessen zwischen allem hindurchgehen, einen sonderbaren Weg, in unerträglicher Beklommenheit. Ein Bursche mit breitem, noch sommerlich kahlgeschorenem Schädel, mehr Schiffer als Bauer, trat auf sie zu und sagte ernst und ruhig: »Sie müssen da oben rumgehen, über den Acker, bis zur Mauer.« Eine alte Frau, die vielleicht seine Mutter war, guckte zum Fenster heraus und nickte. Will die mich trösten? dachte Elli, mich geht der Georg nichts mehr an. Sie stiegen den Acker hinauf. Sie gingen eine mit Scherben bespickte Mauer entlang. Linker Hand lag eine kleine Fabrik. Matthias Frank Söhne. Jetzt konnten sie schon das Tor mit den Wachtposten sehen. Das Tor lag an der Landstraße, genau in dem spitzen Winkel, dessen Schenkel die beiden Mauern des sogenannten inneren Lagers bildeten. Dieses innere Lager stieß also nur mit dem Tor an die Landstraße. Daß dort hinten irgendwo der Rhein lag, wußte man, aber man sah ihn nicht. Totes, stehendes Wasser blinkte hie und da im braunen dunstigen Land.
     
    Mettenheimer beschloß, in einem Wirtshausgarten auf Elli zu warten. Jetzt mußte sie schon allein weiter. Elli hatte Angst. Sie sagte sich aber, daß sie mit Georg nichts mehr zu tun hatte. Rühren lassen wollte sie sich weder durch seine besondere Lage, noch durch sein vertrautes Gesicht, seinen Blick und sein Lächeln.
     
     
     
    Damals war Georg schon lange in Westhofen. Dutzende von Verhören hatte er hinter sich, Leiden und Qualen, wie sie sonst auf ein ganzes Geschlecht verteilt sind, über das ein Kriegszug weggeht oder sonst ein Verhängnis. Diese Qualen gingen noch weiter, morgen oder in der nächsten Minute. Georg wußte damals bereits, daß nur der Tod ihm helfen konnte. Er kannte die furchtbare Macht, die sich auf sein junges Leben geworfen hatte, er kannte aber auch seine eigene Macht, und er wußte jetzt, wer er war.
     
    Im ersten Augenblick glaubte Elli, man hätte einen Falschen hereingebracht. Sie hob ihre Hände an die Ohren – eine eigentümliche Bewegung, mit der sie sich früher immer vergewissert hatte, daß ihre Ohrringe noch festsaßen. Dann fielen ihre Arme hinunter. Sie starrte den fremden Mann an zwischen den beiden SA-Posten. Georg war ja hochgewachsen, der da war fast so klein wie ihr Vater, mit eingeknickten Knien. Dann erkannte sie ihn an seinem Lächeln wieder. Das war das alte, unverkennbare Lächeln, halb freudig, halb verächtlich, mit dem er sie bei ihrer ersten Begegnung gemessen hatte. Jetzt galt es freilich etwas anderes zu messen als ein junges Weib, das man einem allzu geliebten Freund abspenstig macht. Er versuchte, in seinem zerquälten Kopf einen Gedanken zu bilden. Wozu hat man denn diese Frau hergebracht? Was bezwecken sie damit? Er fürchtete, durch seine Erschöpfung, seine körperlichen Leiden, etwas Wichtiges zu übersehen, eine Finte.
     
    Er starrte Elli an. Sie war für ihn ein ebenso sonderbares Geschöpf wie er für sie: ihr aufgeschlagenes Filzhütchen, ihr geringeltes Haar, ihre Ohrringe. Er beobachtete sie. Er begann sich darauf zu besinnen, was sie früher mit ihm zu tun gehabt hatte, wenig genug. Fünf, sechs Paar Augen spähten dabei nach jeder Regung in seinen Zügen, die von den letzten Faustschlägen noch entstellt waren. Ich muß diesem Mann etwas sagen, dachte Elli. Sie sagte: »Dem Kind geht es gut.« Er horchte auf. Sein Blick bekam Schärfe. Was konnte sie damit gemeint haben? Sie hatte sicher etwas Bestimmtes gemeint, sie brachte vielleicht eine Botschaft. Er hatte Angst, daß er zu schwach war, den Sinn zu verstehen. Er sagte fragend: »So?« Sie hätte ihn jetzt doch an seinem Blick wiedererkannt. Er heftete sich so stark und heiß wie das erstemal auf ihren halb offenen Mund. Welch eine Nachricht kam jetzt heraus, um mit Kraft und Spannung noch einmal sein Leben zu erfüllen? Sie sagte nach einer langen quälenden Pause, in der sie wohl nach den richtigen Worten gesucht hatte: »Es kommt schon bald in den Kindergarten.« - »Ja«, sagte Georg. Wie quälend war das, in seinem morschen Kopf so rasch und scharf denken zu müssen. Was meinte sie denn damit, es kommt in den Kindergarten? Es geht ihm gut, und es kommt in den Kindergarten. Wahrscheinlich hängt es mit dieser Umstellung zusammen, von der Hagenauer erzählt hatte, als er vor vier Monaten eingeliefert wurde, nachdem die letzte Leitung verhaftet worden war. Sein Lächeln wurde stärker. Elli fragte: »Willst du sein Bild

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