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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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sehen?« Sie suchte in ihrem Täschchen herum, auf das sich nun außer Georgs Augen auch noch die Augenpaare der Wache richteten. Sie hob eine kleine, auf Karton geklebte Photographie, ein Kind, das mit einer Rassel spielte. Georg bückte sich über das Bild, wobei er die Stirn vor Anstrengung zusammenzog, um irgend etwas Wichtiges zu erkennen. Er sah auf, sah Elli an, sah wieder auf das Bild. Er zuckte mit den Achseln. Er betrachtete Elli so finster, als hätte sie sich über ihn lustig gemacht. Die Aufsicht rief: »Die Besuchszeit ist zu Ende.« Sie zuckten beide zusammen. Georg fragte rasch: »Wie geht es meiner Mutter?« Elli rief: »Gut.« Sie hatte die Frau, die ihr immer fremd, fast zuwider gewesen war, seit anderthalb Jahren nicht gesehen. Georg rief: »Und mein kleiner Bruder?« Er schien plötzlich zu erwachen, sein ganzer Körper zuckte. Elli erschien es nicht minder furchtbar, daß er plötzlich von Sekunde zu Sekunde menschliches Aussehen zurückgewann. Georg rief: »Wie geht es –« Er wurde rechts und links gepackt, herumgedreht und hinausgeführt.
     
    Elli konnte sich nicht besinnen, wie sie zu ihrem Vater zurückgekommen war. Sie wußte bloß, daß er ihren Kopf an sich gedrückt hatte und daß der Wirt und seine Frau und noch zwei Frauen dabeigestanden hatten und daß ihr das einerlei gewesen war. Die eine hatte ein wenig auf ihre Schulter geklopft und die andere ihr Haar berührt. Die Wirtin hatte zuletzt ihren Hut vom Boden aufgehoben und den Staub weggeblasen. Niemand hatte ein Wort gesagt. Dafür war die Mauer zu nah. So stumm ihre Klage gewesen war, so stumm war der Trost.
     
    Als sie wieder daheim waren, hatte sich Elli hingesetzt und einen Brief an Heinrich geschrieben. Er möchte sie nicht am Büro abholen, er möchte überhaupt nie mehr kommen.
     
    Heinrich paßte sie trotzdem am Büro ab. Er fragte sie aus, ob dieser Georg wieder Eindruck auf sie gemacht hätte, ob sie ihn plötzlich wieder lieb hätte, ob sie Mitleid mit ihm hätte, ob sie ihn gar wieder wollte, wenn er raus sei. All das hatte sich Elli erstaunt angehört – nebelhafte und sinnlose Vorstellungen von einer Sache, die man allein wirklich kennt. Sie erwiderte ruhig. Nein, lieb hätte sie Georg nicht mehr. Nie mehr wollte sie zu ihm zurückkehren, auch nicht, wenn er frei sei, das sei aus für immer. Aber sie hätte auf einmal keine Freude mehr daran, mit Heinrich zusammen zu sein, seitdem sie den Georg gesehen hätte, einfach keine Lust mehr, das sei alles.
     
    Heinrich stellte sich ihr in den Weg, so wie es Franz gemacht hatte, damals vor ein paar Jahren, als Georg sie ihm plötzlich genommen hatte. Heinrich aber, da er selbst allzu ernst nicht war, glaubte nicht an den endgültigen Ernst einer Absage. Was für einen Sinn denn das hätte? Ja, wenn sie Georg noch lieb hätte. Aber nur so! Was sollte ihm denn das nützen, daß sie allein blieb. Er erfuhr es ja nicht einmal, glaubte es sicher nicht einmal, wenn sie später je Gelegenheit hätte, ihm das zu erzählen. Was für künstliche Schwierigkeiten.
     
    Das war jetzt alles auch wieder fast ein Jahr her. Heute abend hatte sie Heinrich eingeladen. Schnitzel waren für ihn gerichtet, ein Pudding war für ihn angerührt. Sie hatte sich für ihn hübsch gemacht. Wie ist das eigentlich plötzlich wieder gekommen? dachte Elli. Warum will ich ihn doch jetzt wieder … Dazu hatte es keines Entschlusses bedurft, keiner schweren Entscheidung. Nichts Besonderes war geschehen, als daß ein Jahr recht lang ist. Es war langweilig, jeden Abend allein zu bleiben. Elli war nicht gerade besonders dazu geschaffen. Sie war ein Mädchen wie zwölf aufs Dutzend gehn. Heinrich hatte recht behalten. Wozu das alles für einen Mann, der einem schon ziemlich fremd ist? Im Laufe des Jahres war eben auch das furchtbare, von Faustschlägen entstellte Gesicht ein wenig verblaßt. Die Mutter behielt recht und alle älteren Leute: Die Zeit heilt alles, und alle Eisen glühen aus.
     
    Im Grunde ihres Herzens behielt Elli doch noch eine leise Hoffnung. Heinrich möchte durch einen Zufall wegbleiben. Sie hätte sich selbst nicht sagen können, was dadurch verändert war, da sie ihn ja nun einmal eingeladen hatte.
     
    Drunten in seiner Konditorei sah Franz hinaus auf die Straße. Die Laternen glänzten auf. So warm der Tag auch gewesen war, jetzt konnte einen nichts täuschen, daß der Sommer längst vorbei war. Die kleine Konditorei war spärlich erleuchtet. Die Frau klapperte laut an der Theke. Sie

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