Das siebte Kreuz
Auslage des Seifengeschäfts. Elli lief unbemerkt vorbei. Dem Tapezierer entging es, daß aus der Wirtschaft, die neben dem Seifengeschäft lag, ein junger behender Mensch heraussprang, mit einem Schnurrbärtchen, wobei er den Filzhütigen leicht mit dem Ellbogen anstieß. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel der Auslage. Wie Angler, die auf dasselbe Wasser starren nach denselben Fischen, erblickten die beiden im Spiegel die gegenüberliegende Straßenseite, die Haustür des Tapezierers und ihn selbst. Du willst, daß ich meine Familie ins Unglück bringe, dachte Mettenheimer, das wird dir nicht gelingen. Er stieg, auf einmal über sich selbst beruhigt, die Treppe hinauf. Der Filzhütige trat in die Wirtshaustür, aus der der junge Schnurrbärtige gekommen war. Er setzte sich ans Fenster. Der andere holte mit langen, etwas wippenden Schritten leicht Elli ein, wobei er zu sich selbst sagte, die Beine und Hüften dieser jungen Person erleichtern ihm seine langweilige Aufgabe.
Mettenheimer stolperte in seinem Wohnzimmer über Ellis Kind, das auf dem Boden baute. Elli hatte das Kind über Nacht hiergelassen. Warum? Seine Frau zuckte die Achseln. Ihrem Gesicht war anzumerken, daß sie manches auf dem Herzen hatte, aber ihr Mann fragte nichts. An jedem andern Abend hätte das Kind ihm nur Spaß gemacht, jetzt fragte er: »Wozu hat sie ihr Zimmer?« Das Kind packte seinen Zeigefinger und lachte. Ihm war es nicht zum Lachen. Er schob das Kind von sich weg. Jetzt fiel ihm jedes Wort ein, das morgens bei dem Verhör gefallen war. Er hatte auch keineswegs mehr das Gefühl, nur geträumt zu haben. Sein Herz war ihm schwer wie Blei. Er trat ans Fenster. Das Seifengeschäft gegenüber hatte seinen Rolladen heruntergelassen. Mettenheimer ließ sich nicht täuschen. Er wußte, daß einer dieser verschwommenen Schatten im Wirtshausfenster den Blick aufsein Haus hatte. Die Frau rief ihn zum Essen. Sie sagte bei Tisch, was sie immer sagte: »Ich möchte wissen, wenn du mal endlich bei uns tapezierst.« Franz war inzwischen, von der Arbeit kommend, kurz vor der Hansagasse vom Rad gestiegen. Unschlüssig schob er sein Rad, ob er jetzt wirklich in einem Geschäft nach Mettenheimers fragen sollte. Da geschah, was er gehofft und vielleicht auch gefürchtet hatte. Er traf die Elli zufällig. Er klammerte sich an sein Rad. Elli, ganz in Gedanken, sah ihn nicht. Sie war gar nicht verändert. Ihre stillen Bewegungen waren ein wenig gedämpft von Schwermut – damals schon, als noch kein Anlaß dazu gewesen war. Auch die Ohrringe trug sie noch. Das war gut. Sie gefielen ihm sehr in ihrem dichten braunen Haar. Wäre Franz der Mensch gewesen, Worte für seine Gefühle zu finden, dann hätte er wohl gesagt, die Elli von heut abend sei noch viel mehr sie selbst als die Elli, die er in seiner Erinnerung hatte. Wie ihm das weh tat, daß sie an ihm vorbeiging, obwohl sie ihn ja nicht sehen konnte, ja auch nicht sollte. Wie beim erstenmal auf der Post hätte er sie am liebsten einfach in seine Arme genommen und auf den Mund geküßt. Warum soll mir nicht gehören, dachte er, was mir bestimmt ist? Er vergaß sich selbst. Daß er ein unansehnlicher Mensch war mit einfachen Zügen ohne äußere Lebhaftigkeit, arm und schwerfällig. Er ließ Elli für diesmal an sich vorbeiziehen – auch den jungen schnurrbärtigen Herrn, von dem er nicht merkte, daß der etwas mit Elli zu tun hatte.
Dann drehte er sein Rad. Er radelte hinter ihr her, ungefähr zehn Minuten, bis sie selbst in das Haus hineinging, in dem sie mit ihrem Kind in Untermiete wohnte.
Er sah sich das Haus, das Elli verschluckte, von oben bis unten an. Dann sah er sich die Umgebung an. Ellis Haustür schräg gegenüber lag eine Konditorei. Er ging hinein und setzte sich. In der Konditorei gab es nur noch einen Gast, jenen schlanken, ziemlich adretten Menschen mit dem Schnurrbärtchen. Er saß am Fenster und guckte hinaus. Franz gab auch jetzt nicht auf ihn acht. Soviel Verstand war ihm noch geblieben, daß er nicht einfach Elli nach in ihr Haus gestürzt war. Aber der Tag war noch nicht zu Ende. Elli ging vielleicht wieder aus. Jedenfalls wollte er hier noch lange sitzen und warten.
Oben in ihrem Zimmer hatte sich Elli inzwischen umgekleidet, gekämmt und gebürstet und überhaupt alles getan, was sie ihrer Meinung nach tun mußte, wenn der Gast, den sie heut abend erwartete, wirklich kam und zum Essen dablieb und vielleicht, auch das wies Elli nicht völlig von sich, bis
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