Das siebte Kreuz
Ihre Mutter behielt einfach recht und alle älteren Leute. Die Zeit heilt alles, und alle Eisen glühen aus. Sie schlief damals rasch ein. Der nächste Tag war Sonntag. Sie schlief bis zum Mittag. Rot und frisch, eine neue, gesunde Elli, erschien sie zum Essen in der Wohnstube.
Anfang 34 wurde Elli vorgeladen. Ihr Mann sei verhaftet, hieß es, und nach Westhofen eingeliefert. Jetzt, sagte sie zu ihrem Vater, sei er endlich zur Stelle, man könnte die Scheidung einreichen. Ihr Vater sah sie verwundert an, wie man ein schönes, kostbares Ding ansieht, das plötzlich einen Makel hat. »Jetzt«, sagte er nur. »Warum nicht jetzt?« – »Das muß dadrin ein Schlag für ihn sein.« – »Für mich war auch manches ein Schlag«, sagte Elli. »Er ist schließlich doch noch dein Mann.« – »Das ist aus und für immer«, sagte Elli.
»Sie brauchen doch nicht in der Küche zu bleiben«, sagte die Wirtin, »wenn es schellt, leg ich die Schnitzel auf.« Elli ging in ihr Zimmer. Am Fußende ihres Bettes stand das Kinderbett, das heute leer war. Ihr Gast hätte zwar schon hier sein sollen, aber Elli ließ sich auf Warten nicht ein. Sie öffnete das Paket, befühlte die Wolle und fing an, die Maschen aufzuschlagen.
Sie hatte den Mann, den sie jetzt ein wenig, aber nicht stark erwartete, einen gewissen Heinrich Kübler, durch Zufall kennengelernt. Der Zufall, wenn man ihn wirklich walten läßt, ist gar nicht blind, wie man ihm nachsagt, sondern schlau und witzig. Man muß ihm nur wirklich ganz vertrauen. Pfuscht man ihm ins Handwerk und hilft selbst nach, dann kommt Stümperhaftes heraus, woran man ihm fälschlich schuld gibt. Wenn man ihm ruhig alle Macht läßt und ihm vollkommen gehorcht, dann erreicht er meistens das Richtige, und zwar rasch und wild und ohne Umwege. Eine Bürofreundin hatte Elli zu einem Tanzvergnügen überredet. Sie bereute zunächst, daß sie mitgegangen war. Hinter ihr fiel einem Kellner ein Glas aus der Hand. Sie drehte sich um; gleichzeitig drehte sich dieser Kübler um, der gerade durch den Saal kam. Er war ein großer, dunkelhaariger Mensch mit starken Zähnen - eine schwache Ähnlichkeit mit Georg in seiner Haltung und in seinem Lächeln verschönte Ellis Gesicht, so daß dieser Kübler ihrer gewahr wurde, stutzte und näher kam. Sie tanzten bis zum Morgen. Aus der Nähe hatte er freilich gar keine Ähnlichkeit mit Georg. Er war ein ordentlicher Junge. Er holte sie öfters zum Tanzen ab, und sonntags in den Taunus. Sie küßten sich und waren vergnügt.
Sie hatte ihm beiläufig von ihrem ersten Mann erzählt. »Ich hab da mal Pech gehabt«, so drückte sie das jetzt aus. Heinrich redete Elli zu, diesen Georg endgültig loszuwerden. Sie beschloß, allein die ganze Sache zu regeln.
Eines Tages erhielt sie eine Besuchserlaubnis für das Lager Westhofen. Sie lief zu ihrem Vater. Sie hatte ihn schon lange nicht mehr um Rat gefragt. »Du mußt hingehen«, sagte der Tapezierer, »ich begleite dich.« Elli hatte gar nicht um die Erlaubnis nachgesucht, sie war ihr sogar unwillkommen. Die Erlaubnis hatte auch einen anderen Ursprung.
Da man weder durch Schläge noch durch Tritte, weder durch Hunger noch durch Dunkelheit irgend etwas bei dem Häftling erreicht hatte, war man auf den Gedanken gekommen, seine Frau heranzuholen. Weib und Kind, das pflegt auf die meisten Menschen einen gewissen Eindruck zu machen.
Elli ließ sich in ihrem Büro, Mettenheimer in seiner Firma freigeben. Sie hatten in der Familie ihre peinliche Reise verschwiegen. Während der Fahrt sehnte sich Elli danach, mit ihrem Heinrich auf einer Taunuswiese zu liegen. Mettenheimer sehnte sich nach Tapezieren. Als sie den Zug verlassen hatten und nebeneinander über die Landstraße gingen, ein paar Weindörfer hinter sich lassend, faßte Elli, als sei sie zu einem kleinen Mädchen zusammengeschrumpft, nach der Hand ihres Vaters. Sie war trocken und mürbe. Beiden war beklommen zumut.
Als sie zwischen die ersten Häuser von Westhofen kamen, sahen ihnen die Leute in einer Art allgemeinen und ungefähren Mitleids nach, etwa so, als gingen sie in ein Spital oder auf einen Friedhof. Wie die ganze Geschäftigkeit, diese vergnügte Aufgeregtheit in den Weindörfern einen schmerzte … Warum gehörte man nicht einfach dazu? Warum darf man nicht diesen Bottich quer über die Straße zum Spengler rollen? Warum ist man nicht selbst die Frau, die das Sieb auf dem Fensterbrett scheuert? Warum darf man nicht helfen, den
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