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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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zum nächsten Morgen. Sie zog zuletzt eine Schürze über ihr frisches Kleid. Dann ging sie in die Küche ihrer Wirtin, klopfte und salzte zwei Schnitzel und stellte die Pfanne mit Fett und Zwiebeln bereit, um sie auf das Feuer zu schieben, wenn es schellte.
     
    Die Wirtin, eine gar nicht unebene, kinderliebe und überhaupt mit allen kräftigen Äußerungen des Lebens einverstandene Frau von fünfzig, beobachtete sie lächelnd. »Sie haben ganz recht, Frau Heisler«, sagte sie, »man ist nur einmal jung.« – »Womit recht?« fragte Elli. Ihr Gesicht hatte sich plötzlich verändert. »Daß Sie mal mit jemand anderem zu Abend essen als mit Ihrer eigenen Familie.« Elli hatte auf der Zunge: Ich möchte viel lieber allein essen. Sie sagte aber nichts. Sie spürte ja selbst, wie sie wartete, daß die Haustür zuschlug und feste Schritte heraufkamen. Gewiß, ja, sie wartete, aber sie hoffte vielleicht auch, irgend etwas könnte dazwischenkommen. Ich werde auch noch einen Pudding machen, dachte sie. Sie stellte Milch an, ließ ihr Oetkerpulver hineinrieseln und rührte. Kommt er, gut, dachte sie plötzlich, kommt er nicht, auch gut.
     
    Sie wartete zwar ein wenig; doch was für ein klägliches Warten, mit jenem verglichen, auf das sie sich früher verstanden hatte …
     
    Als sie Woche für Woche, Nacht für Nacht auf Georgs Schritte gewartet hatte, damals hatte sie noch gewagt, ihr junges Leben gegen die leere Nacht zu setzen. Heute ahnte sie, daß dieses Warten nicht sinnlos gewesen war oder lächerlich, sondern etwas weit Besseres, Stolzeres als ihr jetziges Dahinleben, da sie die Kraft des Wartens eingebüßt hatte. Jetzt bin ich so wie alle, dachte sie traurig, mir ist nichts mehr besonders wichtig. Nein, sie würde sicher die kommende Nacht nicht mit Warten verbringen, falls ihr Freund ausblieb. Sie würde gähnen und einschlafen.
     
    Wie ihr Georg zum erstenmal erklärt hatte, daß sie nicht mehr zu warten brauchte, da hatte sie ihm kein Wort geglaubt. Sie war zwar zu ihren Eltern zurückgezogen, aber sie hatte damit nur den Ort des Wartens vertauscht. Hätte Warten die Wirkung, den anderen zur Stelle zu bringen, Georg wäre damals zu ihr zurückgekehrt. Aber im Warten steckt kein Zauber, es vermag nichts über den anderen, es gehört nur dem Wartenden an, eben deshalb erfordert es Mut. Elli hatte es auch keinen Nutzen gebracht bis auf die stille, niemals beredte Traurigkeit, die zuweilen ihr hübsches, junges Gesicht unerwartet verschönte. Das dachte jetzt auch die Wirtin, die Elli beim Kochen beobachtete.
     
    »Bis Sie die Schnitzel gegessen haben«, sagte sie tröstend, »ist Ihr Pudding abgekühlt.«
     
    Als ihr Georg das letztemal erklärt hatte, daß sie ja nicht mehr warten sollte – nicht ungut, aber fest und bestimmt, weil ihm ihr Warten lästig war –, als Georg ihr mit ruhigen klugen Worten erklärte, daß die Ehe kein Sakrament sei und selbst das erwartete Kind kein unumgängliches Schicksal, da hatte Elli endlich das gemeinsame Zimmer gekündigt, das sie die ganze Zeit heimlich bezahlte.
     
    Sie wartete aber weiter; auch in der Nacht, als ihr Kind kam. Welche Nacht hätte sich besser zu einer plötzlichen Rückkehr geeignet? Dem Tapezierer gelang es nach einigen Tagen Herumsuchens, diesen furchtbaren Menschen, den Schwiegersohn, heranzuschleifen. Das bereute er später, als er die Tochter nach dem Abschied beobachtete.
     
    Hatte er Elli auch zuerst von der Hochzeit, dann von der Scheidung abgeraten, jetzt sah er ein, daß die Tochter so oder so nicht länger mehr warten durfte. Er ging also Ende des zweiten Jahres auf das Amt, um seinen Schwiegersohn ausfindig zu machen. Nicht einmal dessen eigene Eltern wußten ja, wo er steckte … Doch dieses zweite Jahr, das zu Ende ging, war das Jahr 32. Elli beruhigte ihr Kind, das durch die Knallerbsen und Prositrufe auf das Jahr 33 erwachte. Georg blieb unauffindbar. Ob man sich scheute, zuviel zu suchen, oder ob Elli vergnügt wurde, weil ihr das Kind Spaß machte – die ganze Angelegenheit versickerte etwas. Sie konnte sich noch an den Morgen erinnern, da sie zu warten aufgehört hatte. Sie war gegen Ende der Nacht durch irgendein Autohupen aufgewacht. Sie hatte Schritte auf der Straße gehört, die vielleicht Georg gehörten. Sie waren an der Haustür vorbeigegangen. Mit den schwächer hallenden Schritten war Ellis Warten schwächer geworden. Mit ihrem letzten Schall war Ellis Warten erschöpft. Keine Einsicht war ihr gekommen, kein Entschluß.

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