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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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»Warum? Das ist nicht schlimm. Da hört das endlich auf mit der Exerziererei jeden Abend und keine freie Minute mehr.« – »Da wirst du doch erst recht getriezt.« – »Das ist was andres«, sagte der andere Georg, »da ist man mal endlich richtig Soldat, denn das andere ist ja nur Soldatenspielen. Das sagt Algeier auch. Du, sag mal, vorigen Winter, bist du da nicht mal mit dem Algeier nach Heidesheim tanzen gegangen?« – »Warum nicht?« sagte das Mädchen, »ich hab dich da doch noch gar nicht gekannt. Es war ja auch nicht so wie jetzt.« Der andere Georg lachte auf. »So nicht?« sagte er. Er hielt sie fest, und das Mädchen sagte jetzt nichts mehr. Viel später sagte sie erst mit trauriger Stimme, als sei ihr ihr Liebster in einem Sturm verlorengegangen oder in einer Finsternis: »Georg«. Er antwortete ganz vergnügt: »Ja.«
     
    Sie saßen dann wieder wie zuerst, das Mädchen mit hochgezogenen Knien, eine Hand des Mannes zwischen ihren Händen. Sie sahen beide hinaus in großer Eintracht, auch mit dem Feld und der stillen Nacht. »Da drüben, siehst du, sind wir gegangen«, sagte der andere Georg. »Ich muß jetzt heimgehen.« Das Mädchen sagte: »Ich hab Angst, wenn du weggehst.« – »Ich geh ja noch nicht in den Krieg«, sagte der Mann, »bloß zu den Soldaten.« – »Das mein ich nicht«, sagte das Mädchen, »ich mein, wenn du von mir weggehst, jetzt gleich.« Der andere Georg lachte. »Du bist ein närrisches Hinkelchen. Ich kann doch morgen wiederkommen. Fang mir jetzt nur nicht noch zu heulen an.« Er küßte ihr über die Augen und übers Gesicht. »Na, siehst du, jetzt lachst du«, sagte er. Das Mädchen sagte: »Bei mir ist Lachen und Heulen in einem Töpfchen.«
     
    Wie dann der andere Georg über das Feld wegging und das Mädchen ihm nachsah in einem blassen Licht, das schon nicht mehr silbrig war, sondern mehlig, da merkte der richtige Georg, daß sie keineswegs schön war, sondern ein rundes, flaches Gesicht hatte, und er fürchtete sehr für das Mädchen, ob der andere Georg morgen wiederkäme. Ja, wenn man ihn gelassen hätte. Er, der richtige, wäre gekommen. Auch auf ihrem Gesicht lag ein Anflug von Furcht. Es verkniff sich, als ob sie weit weg von sich einen kleinen festen Punkt entdecken wollte. Sie seufzte und stand auf. Georg regte sich ein wenig. Auf dem Platz vor der Tür gab es jetzt nur noch das dünnste Mondlicht und auch das schon nicht mehr, weil der Tag graute.
     
     
     

Drittes Kapitel
     
     
    1
     
    Heinrich Kübler war noch in derselben Nacht zur Gegenüberstellung nach Westhofen abtransportiert worden. Zuerst war er ganz erstarrt gewesen, er hatte sich stumm aus Ellis Wohnung abführen lassen. Unterwegs war er plötzlich rasend geworden, er hatte um sich geschlagen, wie ein gesunder Mensch, der von Räubern überfallen wird. Halb bewußtlos von den furchtbaren Schlägen, mit denen man ihn sofort überwältigt hatte, mit zusammengeschlossenen Handgelenken, stumpf, unfähig, irgendeine Erklärung für seinen eigenen Zustand zu finden, war er während der Fahrt wie ein Sack über den Knien und Armen seiner Wächter herumgetorkelt. Als man im Lager ankam, und die SA war zum Empfang alarmiert und sie sah, daß der Gefangene bereits angeschlagen war, da wußte sie, daß der Befehl der Kommissare, die Gefangenen vor dem Verhör nicht anzutasten, auf ihn nicht mehr gelten konnte, da er sich ja auf solche Gefangene bezog, die noch heil ankamen. Einen Augenblick war es völlig still, da kam ganz kurz das tiefe Brummen, insektenartig, das immer vorher kommt, dann kam der helle Aufschrei des einzelnen Mannes, dann minutenlanges Getobe, dann vielleicht wieder Stille, darum »vielleicht«, weil nie noch jemand dabei war, nie jemand das genau beschreiben konnte, ohne den unausgesetzten wilden Lärm, den sein eigenes Herz dabei schlug.
     
    Heinrich Kübler wurde, bis zur Unkenntlichkeit verprügelt, im letzten Augenblick bewußtlos weggebracht. Fahrenberg bekam gemeldet: Vierter Flüchtling eingebracht – Georg Heisler.
     
    Seit dem Unglück, das vor nunmehr zwei Tagen über sein Leben gekommen war, hatte der Kommandant
    Fahrenberg so wenig Schlaf gefunden wie irgendeiner der Flüchtlinge. Auch sein Haar begann zu ergrauen. Auch sein Gesicht begann einzuschrumpfen. Wenn er nur daran dachte, was für ihn auf dem Spiel stand, wenn er versuchte sich klarzumachen, was alles für ihn verloren war, dann krümmte er sich zusammen und stöhnte und wand sich in einem Gestrüpp von

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