Das siebte Kreuz
schon erwidert: Ja, das wäre besser. Ich kann sein Gesicht nicht aushalten, dachte die Frau.
Als hätte der Mann das gehört, stand er auf und ging ans Fenster, mit dem Rücken zum Zimmer, obgleich der Laden heruntergelassen war.
Georg war sicherlich schon an ein paar solcher Schuppen vorbeigestolpert wie dem, den er endlich fand. Darin gab es nichts als Stöße von Weidenkörben, die angefault rochen und unbenutzt.
Jetzt nur schlafen, dachte Georg, sonst gar nichts. Schlafen und nicht mehr aufwachen. Er verkroch sich in eine Ecke, wobei er die übereinandergeschichteten Körbe anstieß, so daß sie auseinanderrutschten. Er wurde vor Schreck nochmals wach. Der Nebel war weg. Das Mondlicht fiel durch den leeren Türrahmen auf den ausgetretenen Boden, so still wie Schnee. Man sah ganz deutlich die alten Spuren und Georgs frische.
Georg schlief wirklich nicht. Vielleicht nur zwei Minuten. Ihm träumte, er sei angekommen. Er steckte die Finger in Lenis Haar, das stark und knistrig war. Er steckte sein ganzes Gesicht hinein und atmete und wußte, daß das jetzt endlich alles kein Traum mehr war, sondern bare Wirklichkeit. Er drehte das Haar um sein Handgelenk, daß sie ihm nicht mehr weg konnte. Er stieß mit dem Fuß an irgend etwas; Scherben klirrten. Er wachte wieder vor Schreck auf. Ja, wirklich, dachte er ganz betroffen, weil er wach nie mehr daran gedacht hatte, ich hab doch damals etwas umgeworfen - eine Lampe. Ein wenig rauh war ihr Lachen gewesen und ihre Stimme, die ihm damals immer wieder versichert hatte mit der Beharrlichkeit der Betrunkenen: Das bringt uns ja noch Glück, Georg, das bringt uns ja noch Glück.
In seinem Kopf war ein so scharfer, scharfbegrenzter Schmerz, daß er unwillkürlich mit der Hand danach griff, ob er an dieser Stelle blute. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich habe ja wirklich geglaubt, dachte er, um diese Zeit könnte ich bei ihr sein. Wohin er auch seine Gedanken wandte, sie kehrten ratlos zurück. Die Leere in seinem Kopf war schon bald die reinste Verzweiflung.
Weit weg streifte etwas das Feld, Mensch oder Tier. Allmählich kam es näher über die weiche Erde, ohne sich recht zu verstärken, leichte, kurze Schritte. Georg zerrte etwas vor sich hin. Säcke, Körbe. Jetzt war es für ihn schon zu spät. Der Türrahmen füllte sich, und es wurde darin dunkel. Der Schatten einer Frau, das hatte er noch am Rocksaum gesehen. Sie fragte leise: »Georg?« Georg wollte schreien. Es verschlug ihm den Atem.
»Georg«, sagte das Mädchen ein wenig enttäuscht. Sie setzte sich dann im Innern des Schuppens auf den Boden vor die Tür. Georg konnte ihre Halbschuhe sehen und ihre dicken Strümpfe und zwischen ihren losen Knien den Rock aus grobem Stoff, in dem die Hände lagen. Sein Herz schlug so laut, daß er glaubte, sie müßte jetzt auffahren. Aber sie horchte nach etwas anderem. Feste Schritte kamen über das Feld. Sie sagte froh: »Georg.« Sie zog die Knie zusammen und ihren Rock über den Knien, und Georg sah jetzt auch ihr Gesicht. Es erschien ihm überaus schön. Welches Gesicht wäre nicht schön gewesen in diesem Licht und in der Erwartung der Liebe.
Der andere Georg bückte sich durch die Tür und setzte sich gleich neben sie: »Na, siehst du, da bist du ja«, sagte er. Er fügte befriedigt hinzu: »Und da bin ich.« Sie umarmte ihn ruhig. Sie legte ihr Gesicht an seines, ohne ihn zu küssen, ja vielleicht ohne den Wunsch, ihn zu küssen. Sie redeten etwas so leise miteinander, daß nicht einmal der richtige Georg sie verstehen konnte. Zuletzt lachte der andere Georg. – Dann war es wieder so still, daß der richtige Georg heraushören konnte, ob der andere Georg mit seiner Hand durch ihr Haar fuhr oder über ihr Kleid weg. Dabei sagte er: »Mein Schatz.« Er sagte auch: »Mein alles auf der Welt.« Das Mädchen sagte: »Das ist ja gar nicht wahr.« Er küßte sie fest ab. Die Körbe fielen durcheinander bis auf die, die Georg vor sich hielt. Das Mädchen begann mit veränderter, hellerer Stimme: »Wenn du wüßtest, wie ich dich liebhab.« – »Ja, wirklich?« sagte der andere Georg. »Ja, lieber als alles … Nein«, rief sie plötzlich. Der andere Georg lachte auf. Das Mädchen sagte bös: »Nein, Georg, geh jetzt weg.« – »Ich geh schon«, sagte der andere Georg, »du wirst mich bald ganz los sein.« Das Mädchen fragte bestürzt: »Wieso?« – »Na, nächsten Monat, da muß ich doch einrücken.« – »Ach Gott.« –
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