Das siebte Kreuz
grad deinen nicht haben.« – »Ach, der hat meine Jacke längst nicht mehr«, sagte der Fritz Helwig, »so dumm ist meiner doch nicht. Meiner läuft doch nicht lang im selben Zeug herum. Meiner wird sich doch sagen, daß seine Kleider beschrieben sind. Der hat sie vielleicht wo verkloppt, die hängt jetzt in ‘nem fremden Schrank über ‘nem Bügel in ‘nem fremden Geschäft. Der hat sie vielleicht in den Rhein geschmissen mit Steinen in den Taschen –« Das Mädchen sah ihn erstaunt an. Er erklärte: »Zuerst war mir’s arg – «, er fügte hinzu: »Jetzt verschmerz ich’s.« Er trat erst jetzt dicht heran. Er holte nach, was er heute noch nicht getan hatte: er faßte sie an den Schultern und schüttelte sie ein wenig und küßte sie ein wenig. Er hielt sie einen Augenblick fest, bevor er seines Weges ging. Er dachte: Der weiß, daß er nie mehr lebend rauskommt, wenn sie ihn fangen. Er meinte damit unter allen Flüchtlingen nur den einen, mit dem er etwas zu tun hatte. Er war heute nacht im Traum an Algeiers Garten vorbeigegangen. Da hatte er hinter dem Zaun, zwischen den Obstbäumen, die Vogelscheuche gesehen, einen alten schwarzen Hut und ein paar Stecken und darüber seine Samtjacke. Dieser Traum, der sich jetzt ganz lustig ausnahm, hatte ihn nachts auf den Tod erschreckt. Auch jetzt wurden ihm die Arme locker. Aus dem Kopftuch des Mädchens, das still an ihm lehnte, kam der feine kühle Geruch, der frisch Gebleichtem eigen ist. Er roch ihn zum erstenmal, als sei etwas in seine Welt gekommen, das ihre Bestandteile deutlicher machte, die groben und die zarten. Als er zehn Minuten darauf in der Schule auf den Gärtnerstieß, fing der auch wieder an: »Noch nichts Neues?« – »Wovon?« – »Von der Jacke. Jetzt ist sie schon im Radio.« – »Die Jacke?« fragte der Fritz Helwig erschrocken, denn davon hatte sein Mädchen nichts gesagt. »Er wurde zuletzt gesehen in folgenden Kleidungsstücken –«, erzählte der Gärtner, »sie wird jetzt schon unter den Achseln verschwitzt sein.« – »Ach, laß mir meine Ruh«, schrie der Junge.
Als Franz in Marnets Küche kam, um rasch seinen Kaffee zu schlucken, bevor er abradelte, da saß Ernst der Schäfer an Marnets Küchenherd und schmierte sich ein Latwergbrot. Er sagte: »Hast du gehört, Franz?« – »Was?« – »Den, der von hier mit dabei ist –« – »Wen? Wo dabei?« fragte Franz. »Wenn man kein Radio hört«, sagte Ernst, »dann ist man nicht auf der Höhe der Ereignisse.« Er wandte sich an die ganze Familie, die um den großen Küchentisch bereits beim zweiten Kaffee saß – man hatte schon ein paar Stunden Arbeit hinter sich – das Aussortieren der Äpfel –, zwei Großkäufer waren für morgen früh nach Frankfurt in die Markthalle bestellt.
»Was macht ihr, wenn ihr den Kerl auf einmal hinten in eurem Schuppen findet?«
»Den Schuppen zuschließen«, sagte der Schwiegersohn, »runterradeln ans Telefon, Polizei holen.« – »Da brauchst du keine Polizei dazu«, sagte der Schwager, »dazu sind wir genug, den zu knebeln, den nach Höchst zu fahren. Was, Ernst?« Ernst der Schäfer schmierte sich sein Latwergbrot so dick, daß es eher Brot auf Latwerg war als Latwerg auf Brot. »Ich bin ja morgen schon nicht mehr hier«, sagte er, »ich bin schon drüben bei den Messers.« – »Er kann auch bei den Messers im Schuppen sitzen«, sagte der Schwiegersohn. Franz hörte sich alles an, wie gebannt zwischen Tür und Angel. »Er kann natürlich überall sitzen«, sagte Ernst, »in jedem hohlen Baum, in jedem alten Schuppen. Aber da, wo ich gerade hingucke, da wird er ganz bestimmt nicht sitzen.« – »Warum?« – »Da guck ich dann schon gar nicht hin«, sagte Ernst, »das wär für mich kein Anblick.« Schweigen. Alle gucken Ernst an, dem das große ausgebissene Latwergbrot um den Mund steht wie ein Zaumzeug. »Du kannst dir so was erlauben, Ernst«, sagte Frau Marnet, »weil du keinen Hof hast und überhaupt nichts Eigenes. Wenn der arme Teufel dann morgen gefangen wird und er sagt, wo er war die Nacht vorher, dann kannst du dadurch ins Kittchen kommen.« – »Ins Kittchen?« sagte der alte Marnet, ein schweigsames Bäuerchen, das bei der gleichen Kost, bei dem gleichen Leben abgehagert war, das seine Frau aufgeplustert hatte. »Du kommst ins KZ und nie mehr raus. Was wird dann inzwischen aus deinem Kram? Die ganze Familie kommt ins Unglück.«
»Ich kann das nicht so beurteilen«, sagte Ernst. Mit seiner
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