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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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sind.
     
    Er verlor das Gefühl für Zeit wie am gestrigen Abend. Auf dem Rhein tuteten die Nebelhörner. Auf der Landstraße, die auf einem niedrigen Damm längs des Rheins lief, schnurrten einzelne Lichter vorüber, in immer größeren Abständen. Eine dicht beigerückte, mit Bäumen bestandene Insel deckte ihm die Sicht auf das Wasser. Hinter den Binsen glänzten die Lichter eines Gehöfts, aber die flößten Georg weder Furcht noch Vertrauen ein. Sie waren irrlichtartig, so menschenleer war die Gegend. Die Insel, die ihm die Sicht versperrte, zog sich lang hin, oder sie war schon zu Ende. Vielleicht kamen die Lichter von einem Schiff oder von dem gegenüberliegenden Ufer, das ihm gar keine bewaldete Insel mehr verdeckte, sondern Nebel. Auch auf einfache Art konnte man hier zugrunde gehen, auch an gewöhnlicher Erschöpfung. Jetzt mit Wallau zwei Minuten zusammen sein, in welcher Hölle immer …
     
    Wenn es Wallau gelingt, in eine bestimmte rheinische Stadt zu kommen, dann ist Hoffnung, daß man ihn von dort auch aus dem Land hinausbekommt. Dort sitzen Menschen und warten und haben die nächste Etappe der Flucht schon vorbereitet.
     
    Als man Wallau zum zweitenmal eingesperrt hatte, war es seiner Frau klar, daß sie den Mann nicht mehr
    wiedersehen sollte. Als ihre Bitten um Besuchserlaubnis schroff, ja mit Drohungen abgelehnt wurden – sie war selbst von Mannheim, wo sie jetzt lebte, nach Westhofen gekommen –, faßte die Frau den Entschluß, ihren Mann zu retten, koste es, was es wolle. Diesem Entschluß folgte sie mit der Behextheit von Frauen, die an undurchführbare Pläne herangehen, indem sie zunächst einmal ihren Verstand oder den Teil ihres Verstandes ausschalten, der dazu da ist, zu prüfen, ob etwas durchführbar ist. Wallaus Frau hielt sich nicht an Erfahrungen, nicht an Auskünfte ringsherum, sondern an zwei oder drei Legenden von gelungenen Fluchten. Beimler aus Dachau, Seeger aus Oranienburg. Und in Legenden steckt ja auch eine gewisse Auskunft, eine gewisse Erfahrung. Aber sie wußte auch, daß ihr Mann mit der ganzen Kraft hellbewußter Menschen darauf brannte, zu leben, weiterzuleben, daß er den leisesten Hinweis verstehen würde. Ihre Weigerung, auf das Ganze hin zwischen möglich und unmöglich zu unterscheiden, hinderte sie nicht, in vielen Einzelheiten geschickt vorzugehen. Sie bediente sich bei dem Anknüpfen von Verbindungen, bei dem Nachrichtenübermitteln ihrer zwei Buben, zumal des älteren, der von dem Vater in alten Zeiten noch gründlich belehrt, von der Mutter jetzt in den Plan eingeweiht und ganz behext war; ein dunkeläugiger, zäher Knabe in den Kleidern der Hitlerjugend, mehr verbrannt als erhellt von der Flamme, die für sein Herz fast zu stark war.
     
    Jetzt, am Abend des zweiten Tages, wußte Frau Wallau, daß die Flucht aus dem Lager selbst gelungen war. Sie konnte nicht wissen, wann er in Worms eintraf auf dem Laubengrundstück, wo für ihn Geld und Kleider bereitlagen, ob er vielleicht schon die letzte Nacht dort durchgekommen war. Diese Laube gehörte einer Familie Bachmann. Der Mann war Trambahnschaffner. Beide Frauen waren vor dreißig Jahren zusammen in die Schule gegangen, ihre Väter schon waren Freunde gewesen und auch später die Männer. Beide Frauen hatten gleichzeitig alle Lasten des gewöhnlichen Lebens getragen und in den letzten drei Jahren auch die Lasten des ungewöhnlichen. Bachmann war freilich nur Anfang 33 kurz verhaftet gewesen. Er lebte seither in Arbeit und ungeschoren.
     
    Auf diesen Mann, den Trambahnschaffner, wartete jetzt Frau Bachmann, während die Wallau auf ihren Mann wartete. Stark beunruhigt, was sich in winzigen, zuckigen, wie zersplitterten Bewegungen ihrer Hände zeigte, wartete Frau Bachmann auf den Mann, der freilich nur zehn Minuten brauchte von der Remise in seine Stadtwohnung. Vielleicht hatte er auch einspringen müssen, dann kam er erst gegen elf. Die Frau Bachmann fertigte ihre Kinder ab, wobei sie sich selbst etwas beruhigte.
     
    Nichts kann dabei passieren, sagten sie sich zum tausendstenmal, nichts kann herauskommen. Ja, selbst wenn es herauskommt, uns kann niemand auch nur das geringste nachweisen. Geld und Kleider kann er ja einfach gestohler haben. Wir wohnen hier in der Stadt, seit Wochen ist keiner von uns in die Laube gegangen. Wenn man nur nachsehen könnte, fuhr sie in ihren Gedanken fort, ob das Zeug noch da ist. Man kann das schlecht aushalten. Daß das die Wallau fertigbringt!
     
    Sie, die Bachmann, hatte

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