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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Hatten nicht gestern solche Knaben Pelzer in Buchenau aufgespürt? Der da mit seinem ruhigen, schönen Blick, hatte er auch an das Hoftor getrommelt? Der Junge senkte die Augen. Die übrigen drängten sich mehr um Georg als um den Schnitzer herum. Fast ohne sein Zutun war Georg bereits von dem Rudel Jungen ganz eingeschlossen. Er hatte nicht einmal wie der Rattenfänger zu flöten brauchen. Das ganze Rudel witterte schon mit ungebrochenem Spürsinn, daß diesem Mann etwas anhafte, ein Abenteuer oder ein sonderbares Unglück oder ein Schicksal. All das war ihnen freilich unklar. Sie rückten Georg nur dicht bei und schwatzten und schielten auf seine verbundene Hand.
     
     
     
    Overkamp hatte um diese Zeit bereits die Meldung in Westhofen vor sich, daß zwar nicht Georg Heisler selbst, aber doch seine letzte leibliche Hülle, die braune Manchesterjacke mit Reißverschluß, in die Hände des Staates gefallen sei. Jener Schiffer war vorigen Abend nach dem Tausch mit der Jacke zu einem Althändler gegangen, um für den Erlös zu saufen. Seine Braut strickte ihm Pullover genug, und der Tausch war für ihn ein gefundenes Fressen. Aber der Kleideralthändler war bei der Durchgabe der Signalements, da er schon öfters etwas Verbotenes gekauft hatte, aufs schärfste verwarnt worden, ja man hatte bereits eine Stichprobe in seiner Bude gemacht. Der Schiffer lamentierte zuerst, daß er das Prachtstück der Polizei lassen sollte; er beruhigte sich, da man ihm Entschädigung zusagte. Sich selbst konnte er leicht ausweisen, hatte ja ein halbes Dutzend Zeugen für den Tausch. Seine Tauschzeugen hatten den Eindruck, daß sich der Tauschpartner in Begleitung eines anderen in Richtung Petersau begeben hätte. In der Vernehmung spukte alsbald der Name dieses Begleiters: Hechtschwänzchen.
     
    Der war sofort beschaffbar. Overkamp traf die Anordnungen, die sich aus der Aussage des Schiffers ergaben. Er hatte den Eindruck, daß in diese, vorhin noch ganz verfahrene Angelegenheit ein frischer Zug kam. Unter den einlaufenden Meldungen hob sich jetzt auch die Aussage eines gewissen Binder aus Waisenau heraus. Dieser wollte am vorigen Morgen in der Sprechstunde des Arztes Löwenstein einen verdächtigen Mann bemerkt haben, auf den der Steckbrief paßte, war demselben Mann am selben Morgen mit seiner frisch verbundenen Hand unterwegs nach dem Rhein begegnet – all diese Leute waren sofort vorzuführen. Aus ihren Aussagen war die Flucht des Heisler bis gestern mittag entnehmbar, woraus auf seinen weiteren Weg zu schließen war.
     
     
     
    Unmerklich waren die Buben von ihren Grasplacken weg auf den Sand dicht um Georg herumgerückt, so daß der zottige kleine Bumerangschnitzer jetzt sogar abseits saß, bis sie plötzlich alle die Köpfe wegdrehten, weil ein einzelnes Boot von der Insel kam. Ein Mann mit einem Rucksack stieg aus und ein hochgewachsener Junge, der, wie sich dann zeigte, in seinem länglichen hellen Gesicht sehr regelmäßige kühne Züge hatte, die nicht mehr nur knabenhaft waren.
     
    »Gib her«, sagte dieser Junge sofort zu dem Schnitzer, trat vor und warf das Ding in die Luft mit einem gelassenen eigentümlichen Schwung, der es wirbeln machte und seinen eigenen Körper um sich selbst drehen.
     
    Inzwischen war aus dem Bauernhaus das zweite Häuflein zurückgekommen. Der Lehrer lobte trocken den Dürren, der alles rasch und richtig geordnet hatte. Dann ging es wieder ans Richten und Abzählen. Man brach auf. Auch Georg erhob sich. »Sie haben da gute Buben, Herr Lehrer«, sagte er. »Heil Hitler«, holte der Lehrer nach. Er hatte ein braunes, sehr junges Gesicht, das aber durch diese fast mit Anstrengung festgehaltene Jugend ein wenig starr wirkte. »Ja, die Klasse ist gut.« Obwohl Georg nichts mehr sagte, fügte er selbst hinzu: »Der Grundstock war schon gut. Ich hab herausgeholt, was ich konnte. Ich bin zum Glück mit der Klasse an Ostern aufgestiegen.« Das scheint diesem Mann in seinem Leben eine Rolle gespielt zu haben, dachte Georg, daß er die Klasse behalten hat. Er brauchte sich nicht einmal anzustrengen, um mit dem Mann ruhig zu sprechen. Die Nacht lag plötzlich weit hinter ihm. So gelassen strömt das gewöhnliche Leben, daß es den mitnimmt, der seinen Fuß hineinsetzt. »Ist das noch weit bis zur Anlegestelle?« - »Keine zwanzig Minuten«, sagte der Lehrer, »wir gehen ja alle hin.« Der soll mich mit ans andere Ufer nehmen, dachte Georg, der wird mich mitnehmen. »Voran, voran«, sagte der Lehrer zu den

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