Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
Vom Netzwerk:
nicht helfen konnte, an dem Patienten, der mit verbundener Hand gestern ruhig seines Wegs gegangen war, wo ihm doch, wie sich eben herausgestellt hatte, gleichfalls der Tod gebührte? Oder glaubte er einfach, durch ein solches Gebaren sich mit den Lebenden gründlicher zu vermischen?
     
     
     

2
     
    Georg war inzwischen aus seinem Schuppen herausgekrochen, bevor er jemand in die Gefahr gebracht hatte, ihn zu entdecken. Er war so elend, daß es ihm sinnlos vorkam, Fuß vor Fuß zu setzen. Aber der Schwung des neuen Tages, gewaltiger als die Schrecken der Nacht je sein mögen, reißt jeden mit, der bis dahin gewartet hat. Um seine Beine schlug ihm das nasse Spargelkraut. Ein Wind kam auf, so leicht, daß er nur ein wenig den Nebel zersprühte. Georg, wenn er auch vor Nebel nichts sah, spürte den neuen Tag, der über ihn wegstrich und über alles. Bald begannen die kleinen Beeren im Spargelkraut in der tiefstehenden Sonne zu glänzen. Georg glaubte zuerst, es sei auch die Sonne, die hinter dem dunstigen Ufer schimmerte, bis er im Näherkommen das Feuer gewahrte, das auf der Landzunge brannte. Langsam, doch merklich verzog sich der Nebel, und er sah ein paar flache Gebäude auf der Landzunge und die baumlose, mit Booten umpflockte Spitze und das freie Wasser. Vor ihm, mitten im Feld, an dem Weg, der von der Landstraße zum Ufer führte, lag das Haus, aus dem in der Nacht das Liebespaar gekommen sein mochte. Plötzlich kam von der Halbinsel ein Trommelwirbel, daß ihm die Zähne klapperten. Da es zu spät war, sich zu verstecken, ging er steif weiter, auf alles gefaßt. Aber das Land blieb still. In dem Bauernhaus rührte sich nichts, nur von der Landzunge kamen Knabenstimmen, die ihm, bloß weil sie keine Stimmen von Männern waren, überaus schön erschienen und engelklar, und jetzt platschte es schon mit den Rudern herum gegen das Ufer zu, während das Feuer auf der Landzunge abgelöscht wurde.
     
    Wenn du den Menschen nicht mehr ausweichen kannst, hatte ihn Wallau gelehrt, mußt du ihnen erst recht entgegengehen, mitten in sie hinein.
     
    Diese Menschen, denen er nun nicht mehr entrinnen konnte, waren an die zwei Dutzend Buben, die mit wildem Geschrei wie Indianer, die in das Jagdgebiet eines feindlichen Stammes einfallen, aus den Booten heraussprangen, ihre Rucksäcke an Land brachten, Kochgeschirre und Bütten, Zeltbahnen und Fahnen. Dieser Wirrwarr beruhigte sich und teilte sich aber rasch in zwei Häuflein, und zwar, wie Georg merkte, durch das Kommando eines dürren, blaßblonden Buben, der mit gepreßter, aber sonst noch ganz kindlicher Stimme eine Menge vernünftiger Anweisungen kurz angebunden herausgab. Zwei Buben zogen Geschirr und Kübel an Ringen und Henkel auf eine Stange, zogen damit gegen das Bauernhaus ab, eskortiert von vier schwerbeladenen Kameraden sowie von zwei Trommlern, angeführt von einem siebten, der das Fähnchen trug. Georg hatte sich auf den Sand gesetzt und sah ihnen nach, nicht als ob er der Kindheit entwachsen sei, sondern als ob man sie ihm soeben geraubt hätte. »Rührt euch«, befahl der dürre Junge den übrigen, die derweil hatten antreten müssen und abzählen. Der Dürre hatte eben erst Georg bemerkt. Ein Teil der Buben suchte flache Kiesel, man hörte sie schon die Aufschläge auf dem Wasser zählen. Die anderen setzten sich einen halben Meter von Georg entfernt auf einen Grasplacken um einen kleinen zottig-braunen Jungen, der etwas in seinem Schoß schnitzte. Georg horchte auf die Ratschläge und Begutachtungen der Knaben, wobei er sich selbst fast vergaß. Einige Knaben nahmen Stellungen ein und sprachen in einer Art, wie es Kinder tun, die sich von einem Erwachsenen beobachtet fühlen, der sie unbewußt anzieht.
     
    Der braune Junge sprang auf, lief an Georg vorbei, holte weit aus mit ernstem, gespanntem Gesicht und warf das Ding, das er eben geschnitzt hatte, hoch in die Luft. Es fiel vor ihm nieder wie alles, was dem Gesetz der Schwere gehorcht – was aber den Knaben außerordentlich zu enttäuschen schien. Er hob es auf, beguckte es stirnrunzelnd und setzte sich wieder und feilte – die Neugierde seiner Kameraden ging in Spott über – Georg sagte lächelnd, da er alles beobachtet hatte: »Du willst einen Bumerang machen.« Der Junge sah ihn geradezu an mit einem starken und ruhigen Blick, der Georg sehr gefiel. »Ich kann dir nicht helfen, weil meine Hand verletzt ist«, sagte er, »aber ich kann dir vielleicht erklären –.« Sein Gesicht verfinsterte sich.

Weitere Kostenlose Bücher