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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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unglaublich langen geschmeidigen Zunge leckte er sich seinen Mund sauber, die Kinder sahen erstaunt zu. »Ich hab bloß das bißchen Möbel in Oberursel von meiner Mutter und mein Sparkassenbüchelchen. Ich hab ja noch keine Familie, ich hab bloß die Schafe. In dieser Beziehung bin ich wie der Führer, ich hab weder Weib noch Kind. Ich hab nur meine Nelli. Aber der Führer hat früher auch ‘ne Haushälterin gehabt; ich hab gelesen, er ist selbst zu ihrer Beerdigung.« Da sagte plötzlich die Auguste: »Aber eins kann ich dir sagen, Ernst, Marnets Sophie hab ich über dich klaren Wein eingeschenkt. Wie kannst du sie denn so anschwindeln, du wärst verlobt mit dem Mariechen aus Botzenbach? Du hast doch der Ella am vorletzten Sonntag einen Antrag gemacht.« Ernst sagte: »Diese Art Antrag, die hat mit meinem Gefühl für das Mariechen aber wirklich überhaupt gar nichts zu tun.« – »Das ist doch die reinste Bigamie«, sagte Auguste. »Das ist keine Bigamie«, sagte Ernst, »das ist eine Veranlagung.« – »Das hat er von seinem Vater«, erklärte Frau Marnet, »wie der dann im Krieg gefallen ist, da haben dann all seine Mädelchen mit der Mutter vom Ernst zusammen geflennt.« Ernst sagte: »Haben Sie auch geflennt, Frau Marnet?« Frau Marnet warf einen Blick auf ihr hageres Bäuerchen. Sie erwiderte: »Ein Tränchen hab ich wohl auch verdrückt.«
     
    Franz hatte so atemlos zugehört, als erwarte er, die Gedanken und Worte der Menschen in Marnets Küche müßten von selbst an der Stelle verweilen, die ihnen sein Herz eingab. Keine Spur – die Gedanken und Worte der Menschen liefen lustig über die Stelle weg nach allen möglichen Richtungen. – Franz zerrte sein Rad aus dem Schuppen. – Diesmal merkte er gar nicht, wie er nach Höchst heruntergekommen war – und das Geradel um ihn herum, das Gekreisch in den engen Gassen war nur ein Schall.
     
    »Hast du ihn nicht gekannt?« fragte einer im Umkleideraum, »wo du doch früher schon dort warst?«  –
     
    »Ausgerechnet ihn«, sagte Franz, »der Name sagt mir gar nichts.« – »Guck ihn dir mal an«, sagte einer, der ihm die Zeitung unter die Nase hielt. Franz sah herunter auf die Bilder von drei Männern. Wenn ihn das auch wie ein Schlag traf, Georg wiederzusehen – denn ein Wiedersehen war es immerhin, weil dieser Georg auf dem Steckbrief seine halbe Wirklichkeit hatte zwischen dem leibhaftigen Georg und dem Georg seiner Erinnerung – die zwei fremden Steckbriefgesichter rechts und links trafen ihn auch und beschämten ihn auch, daß er immer bloß an den einen dachte. »Nein«, sagte er, »das Bild sagt mir nichts. Lieber Gott, wer einem nicht alles unterläuft!« Das Blatt lief durch ein paar Dutzend Hände. »Kennen wir nicht«, hieß es, und »Du lieber Himmel, drei auf einmal – vielleicht noch mehr. – Warum sind sie durch? – Frag noch warum. – Mit dem Spaten totgeschlagen. – Ist doch aussichtslos. – Wieso? Sie sind ja raus. – Für wie lang? – Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken. – Der ist ja schon ganz alt, guck mal. – Der kommt mir doch bekannt vor. – Die waren sicher sowieso fertig, die hatten nichts mehr zu verlieren.« Eine Stimme erklärte ruhig, ein wenig gequetscht vielleicht, weil der Mann sich über sein Spind bückte oder seinen Schuhriemen knüpfte: »Wenn’s mal Krieg gibt, was macht man dann mit den Lagern?« Ein Gefühl von Kälte befällt die Menschen, die sich hastig und stoßend fertigmachen. Im selben Ton fügt die Stimme hinzu: »Was gebietet denn dann die innere Sicherheit?«
     
    Wer hat das eigentlich eben gesagt? Man hat das Gesicht nicht gesehen, weil der Mann sich gerade gebückt hat. Die Stimme kennen wir doch. Was hat er eigentlich gesagt? Nichts Verbotenes. Ein kurzes Schweigen, und keiner, der nicht beim zweiten Sirenenzeichen zusammenfährt. Wie sie durch den Hof rannten, hörte Franz jemand hinter sich fragen: »Ist eigentlich auch der Albert noch immer drin?« und einen anderen antworten: »Ich glaub, ja.«
     
    Binder, der alte Bauer aus Löwensteins Sprechstunde, hatte gerade die Frau anbrüllen wollen, das Radio
    abzustellen. Seit er aus Mainz gekommen war, wälzte er sich auf seinem wachstuchüberzogenen Sofa – kränker als vorher, glaubte er. Da horchte er auf mit offenem Maul. Leben und Tod vergaß er, die sich in ihm balgten. Er brüllte die Frau an, ihm rascher in Rock und Schuhe zu helfen. Er ließ den Wagen des Sohnes ankurbeln. Wollte er sich an dem Arzt rächen, der ihm doch

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