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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Buben, wobei er den Bann, der von dem Fremden ausging, deshalb nicht merkte, weil er schon selbst mitberührt war. Der große Bengel, der mit ihm im Boot gekommen war, ging immer noch neben ihm her. Er legte die Hand auf seine Schulter. Georg aber, hätte er sich unter all diesen Knaben einen kleinen Gefährten wählen dürfen für seine Wanderschaft, er hätte sich gar nicht den schönen Burschen neben dem Lehrer gewählt und nicht den klugstirnigen Dürren, sondern den kleinen Bumerang. Der klare Blick dieses Buben traf ihn öfters, als sähe er mehr als die anderen Kinder.
     
    »Haben Sie denn die Nacht über draußen verbracht?« - »Ja«, sagte der Lehrer, »wir haben da auf der Au eine Herberge. Wir haben aber der Übung halber neben dem Haus übernachtet. Wir haben gestern abend und heute früh am Feuer gekocht. Wir haben uns gestern an Hand von Plänen klargemacht, mit welchem Mittel man heutzutage die Höhe dort drüben besetzen würde, und immer weiter rückwärts durch die Geschichte, verstehen Sie, wie das ein Ritterheer durchgeführt hat, wie das die Römer durchgeführt haben –« – »Zu Ihnen möchte man noch einmal in die Klasse gehen«, sagte Georg. »Sie sind ein guter Lehrer.« – »Man macht gut, was man gern tut«, sagte der Mann.
     
    Sie hatten jetzt am Ufer die Länge der Halbinsel abgeschritten. Neben ihnen war offener Strom. Man sah, daß die Au, die alles verdeckt hatte mit ihren paar Büschen und Baumgruppen, nur ein schmales Dreieckchen war unter unzähligen Ufervorsprüngen und Auen. Georg dachte: Komm ich herüber, kann ich noch heut bei Leni sein.
     
    »Waren Sie im Krieg?« fragte der Lehrer. Georg begriff, daß dieser Mensch, der so alt wie er selbst sein mochte, ihn für viel älter hielt. Er sagte: »Nein.« – »Schad, da hätten Sie meinen Buben erzählen können. Ich benutze jede Gelegenheit.« – »Da hätte ich Sie enttäuscht«, sagte Georg, »ich bin ein schlechter Erzähler.« – »Das kenn ich von meinem Vater, er hat uns nie aus dem Krieg erzählt.« – »Hoffentlich behalten die Buben da ihre gesunden Glieder.« Der Lehrer sagte: »Ich hoffe, daß sie sie behalten.« Er betonte das letzte Wort. »Ich mein, daß sie ihre Glieder nicht dadurch behalten, daß sie den Einsatz vermieden haben.« Georg klopfte das Herz, weil er die Pfosten und Stufen der Anlegestelle vor sich sah. Und doch war der Zwang, die Gewohnheit auf Menschen zu wirken, so mächtig in ihm, daß er selbst jetzt antwortete: »Sie setzen sich ja ein mit Leib und Seele als Lehrer, das ist auch ein Einsatz.«
     
    »Von diesem Einsatz spreche ich jetzt nicht«, sagte der Mann. Seine Worte waren auch auf den Knaben gemünzt, der sehr aufrecht neben ihm ging. »Ich sprach von dem äußersten Einsatz auf Leben und Tod. Da muß man hindurch – wie sind wir eigentlich drauf gekommen?« Er sah sich seinen fremden Begleiter noch einmal an. Wäre der Weg nur länger gewesen, er hätte seine Gedanken gar gern diesem Menschen preisgegeben. Wie viele Bekenntnisse werden dem Verschlossenen unterwegs angeboten! »Da sind wir. Sagen Sie mal, macht Ihnen das was aus, ein paar Buben mitzunehmen?« – »Nichts, gar nichts«, sagte Georg, dem das Herz im Halse schlug. »Der Kollege versprach mir, die Buben in seine Klasse zu nehmen, während wir übrigen noch auf dem Sand sammeln gehen; ich warte noch, bis das Boot kommt.« Vielleicht geht der kleine Bumerang mit mir, dachte Georg …
     
    Als aber jetzt zum drittenmal aufgestellt wurde und abgezählt, da wurde leider der kleine Bumerang der Gruppe des Lehrers zugeteilt.
     
     
     
    Hechtschwänzchen wurde bereits in Westhofen vorgeführt. Es zeigte sich, daß er ein guter Beschreiber war, genau und witzig. Müßiggänger seiner Art pflegen vortrefflich zu beobachten. Da sie zum Handeln nie kommen, bleiben in ihrem Kopf die Beobachtungen wie ein unverwerteter Schatz. Daher werden sie oft zu unvergleichlichen Handlangern der Polizei. Hechtschwänzchen berichtete also ausführlich vor den Kommissaren, wie sein gestriger Wegbegleiter auf den Tod erschrocken sei, als man an der Spitze der Petersau ankam. »Sein Verband war frisch«, sagte er. »Mull so weiß wie Schnee, die reinste Persilreklame. Mindestens fünf Zähne müssen dem Mann gefehlt haben, vielleicht drei oben und zwei unten, denn oben war die Lücke noch größer als unten. Und auf der einen Seite«, Hechtschwänzchen fuhr sich mit dem gekrümmten Zeigefinger in den eigenen Mund, »war so ein Einriß,

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