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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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oder wie soll man das nennen, als ob jemand sein Maul bis zum linken Ohr hätte verlängern wollen.«
     
    Hechtschwänzchen wurde mit Heil und Dank entlassen. Blieb nur die Anerkennung der Jacke. Dann konnte man an alle Bahnhöfe und Brückenköpfe, an alle Polizeistationen und Posten, an alle Anlegestellen und Herbergen, über das Netz des ganzen Landes die frischen Signalements durchgeben.
     
    »Fritz, Fritz«, hieß es jetzt in der Darre-Schule, »deine Jacke ist gefunden!« Als das der Fritz hörte, drehte sich alles in ihm rum. Er lief heraus. Hinter dem Schuppen war man fertig mit der Wegregulierung. Fritz guckte in das Treibhaus. Von den gefüllten Begonien nahm der Gärtner Gültscher die Samen selbst ab, um sie gleich zu sortieren. »Meine Jacke ist gefunden.« Ohne sich umzudrehen, sagte der Mann: »Na, da sind sie schon ganz dicht an ihm ran. Na, du, sei froh.«
     
    »Froh? So ‘ne verschwitzte, so ‘ne verdreckte, so ‘ne bespritzte Jacke von so jemand!« – » Guck sie dir an,
    vielleicht ist sie’s gar nicht.«
     
     
     
    »Es kommt«, riefen die Buben. Man hörte schon die Auspuffe des Motors in der stillen Luft. Die Spur hinter dem Boot quer über dem Strom, etwas heller als das übrige Wasser, dauerte ungefähr so lange, wie das Boot bis zum Ufer brauchte. Die Morgensonne zielte geradezu auf das Halstuch des Bootsmannes, auf einen Vogel im Flug, auf die weiße Ufermauer, auf eine Kirchturmspitze weit weg in den Hügeln; als seien gerade diese paar Dinge es wert, tief und für immer eingeprägt zu werden. Wie man nun die paar steinernen Stufen zur Anlegestelle hinunterging, aber noch zu früh, denn so nah war das Boot noch gar nicht, da teilte sich etwas im Menschen, das immer nur weiter und weiter möchte, und immer nur fließen und nie stillbleiben, von dem, was immerfort bleiben möchte und nie vergehen, und trieb teils ab mit dem großen Fluß, teils schmiegte es sich an den Ufern fest und klammerte sich mit allen Fasern an diese Dörfer und Ufermauern und Weinberge.
     
    Auch die Buben waren da alle still geworden. Denn wenn erst einmal wo die Stille aufkommen kann, geht sie tiefer als Trommeln und Pfeifen. Georg sah den Posten auf der gegenüberliegenden Anlegestelle. Stand der immer da? Stand der seinethalben? Die Buben umringten ihn, rissen ihn die Stufen herunter, drückten sich um ihn auf das Boot. Georg aber spähte nur nach dem Posten.
     
    »Köpfe auseinander, ihr Buben, laßt mich durch, ich spring. Nicht das schlechteste Ende, wenn es schiefgeht.« Er hob sein Gesicht. Er sah weit hinten den Taunus, wo er früher oft gewesen war, mal bei der Apfelernte mit jemand – wer war es doch? Franz. Jetzt muß es auch wieder Äpfel geben, sieh da, es ist Herbst. Gibt es etwas Schöneres auf der Welt? Und der Himmel ist nicht mehr dunstig, sondern wolkenlos graublau.
     
    Da unterbrachen die Buben ihr Geschwätz, guckten dahin, wo der Mann so merkwürdig hinsah, konnten aber nichts weiter sehen, vielleicht war der Vogel schon weg. Jetzt kassierte die Frau des Bootsmannes das Fährgeld. – Sie waren schon über die Mitte des Flusses. Der Posten sah regungslos auf das ankommende Boot. Georg tauchte die Hand ins Wasser, ohne den Blick vom Posten abzuwenden. Alle Buben tauchten dann auch. Ach, das ist alles Spuk, aber wenn sie dich abführen, einliefern und quälen, dann wirst du trauern, daß du das alles so einfach hättest haben können.
     
    Keine fünf Minuten Autofahrt von der Darre-Schule nach Westhofen. Fritz hatte sich unter Westhofen etwas Höllisches vorgestellt. Aber da waren nur saubere Baracken, ein großer, sauber gekehrter Platz, ein paar Posten, ein paar gekuppte Platanen, stille Herbstmorgensonne. »Sie sind Fritz Helwig? – Heil Hitler! – Ihre Jacke ist wiedergefunden. Da liegt sie.« Fritz warf einen schrägen Blick auf den Tisch. Da lag seine Jacke, braun und frisch, gar nicht verdreckt und blutig, wie er sich das vorgestellt hatte. Nur auf dem einen Ärmelsaum war eine dunkle Stelle. Er warf dem Kommissar einen fragenden Blick zu. Der nickte ihm lächelnd zu. Fritz ging an den Tisch, er tippte an den Ärmel. Er zog die Hand zurück.
     
    »Nun, das ist Ihre Jacke«, sagte Fischer. »Wie? Ziehen Sie sie an!« sagte er lächelnd, da Fritz noch zögerte. »Los«, sagte er laut, »ist sie’s vielleicht nicht?« Fritz senkte die Augen. Er sagte leise: »Nein.« – »Nein?« sagte Fischer. Fritz schüttelte fest den Kopf in der allgemeinen Bestürzung, die seine Worte

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