Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
Vom Netzwerk:
Mittagsmahl ausgesucht hatte. Sie neckten das winzige Lehrbübchen, jagten es nicht schlecht herum, bald zur Hausmeisterin um Salz, bald in die Wirtschaft um Bier. »Laßt mir jetzt mal den Bub zum Essen kommen«, sagte Mettenheimer.
     
    Unter dem guten Dutzend Leute gab es ein paar, für die war der Staat eine Art Firma, so wie Heilbach. Ihnen war alles eins, wenn man sie fühlen ließ, daß ihre gediegene Arbeit richtig eingeschätzt wurde, und.wenn sie ihrer Meinung nach gerechten Lohn empfingen. Die Einwände solcher Leute hielten sich nicht an die einfache Tatsache, daß sie nach wie vor gegen geringes Entgelt herrschaftliche Wohnungen tapezierten, sondern an abgesonderte, manchmal absonderliche Fragen, etwa religiöse. Dieser Schulz dagegen, der Mettenheimer hatte trösten wollen, war von Anfang an und immer weiter gegen den Staat gewesen. Er verstand zu unterscheiden, was an den Berufswettkämpfen und ähnlichen Dingen fauler Zauber und was zweckmäßig war. Er wußte auch, daß das Zweckmäßige immer gleichzeitig dem Handwerk zugute kam und dem, der etwas von ihm wollte. Daß man den Menschen immer köderte mit der Speise, auf die er anbeißt. An den Schulz hielten sich die, die gut herausfühlten, daß er, wie man das nennt, im Herzen gleichgeblieben war. Allerdings kann man das nicht mehr gleichbleiben nennen, sondern den denkbar größten Unterschied, ob sich das Wichtigste im Menschen in Handlungen auslebt oder sich auf den geheimsten Punkt zurückzieht. Auch einen ganz rabiaten Nazi, Stimbert, gab es unter den Leuten. Ihn hielten alle für einen Aufpasser und Angeber. Das bedrückte sie aber weit weniger als man denken sollte. Sie nahmen sich in acht und mieden ihn, auch die, die eigentlich ihren Ansichten nach mehr oder weniger zu ihm gehört hätten. Sie betrachteten ihn alle etwa so, wie man in jeder Art von Gemeinschaft, in der untersten Schulklasse angefangen, jene Einzelnen, Sonderbaren betrachtet, die unfehlbar überall auftauchen, einen krankhaften Petzer etwa oder auch bloß einen furchtbar Dicken.
     
    Aber alle diese Leute zusammen, wie sie da im Treppenhaus vesperten, hätten sich sicher auf diesen Stimbert gestürzt und ihn gehörig verprügelt, wenn sie in diesem Augenblick sein gemeines, krankes Gesicht gesehen hätten, mit dem er Mettenheimer beobachtete. Aber sie sahen alle nur auf Mettenheimer, wobei sie im Essen und Trinken aufhörten. Mettenheimer hatte zufällig eine herumliegende Zeitung ergriffen, er starrte auf eine bestimmte Stelle, er war erbleicht. Alle merkten, daß er jetzt im Bilde war. Alle hielten den Atem an. Langsam hob Mettenheimer sein Gesicht, das hinter dem Blatt bedruckten Papiers völlig zerstört worden war. In seinen Augen war ein Ausdruck, als sei er in die Hölle geworfen. Wie er nun aufsah, da waren um ihn herum die Tüncher und Tapezierer. Auch der kleinwinzige Lehrbub saß da, war endlich zum Essen gekommen und hatte doch wieder aufgehört. Der rabiate Stimbert lächelte frech über seinen Kopf hinweg. Aber auf allen anderen Gesichtern lagen Kummer und Ehrerbietung. Mettenheimer holte Atem. Er war nicht in die Hölle verschlagen - er war noch immer ein Mensch unter Menschen.
     
     
     
    In derselben Mittagspause stand Franz in seiner Kantine und horchte. »Ich geh heut abend mal nach Frankfurt in die Olympia-Lichtspiele«, sagte einer. »Was gibt’s denn da?« – »Königin Christine.« – »Mir ist mein Böppchen lieber als eure Greta«, sagte ein Dritter. Der erste sagte: »Das sind zwei ganz verschiedene Sachen, knutschen oder zugucken.« – »Daß ihr daran noch Spaß habt«, sagte ein Dritter, »ich: nichts wie heim.« – »Was herausspringt bei diesem Gehetz, das ist ja grad die Kinokarte.« Franz horchte, äußerlich schläfrig, innen zerspringend. Wieder, so schien es ihm, war alles abgesackt. Heute morgen war da doch eine Minute gewesen, eine Bresche. Er zuckte plötzlich zusammen. Diese Olympia-Lichtspiele brachten ihn auf einen Gedanken, nach dem er den ganzen Morgen herumgewürgt hatte. Nur durch die Wohnung ihrer Eltern konnte er unbeschadet Elli erreichen. Selbst heraufgehen? War nicht die Haustür bespitzelt? Briefe auch? Ich will nach der Schicht herüberradeln, sagte er sich, zwei Karten kaufen, vielleicht glückt mir, was ich vorhabe. Und wenn es nicht glückt, schadet es auch niemand.
     
     
     
    Georg ging weiter auf der Wiesbadener Landstraße. Er nahm sich vor: bis zum nächsten Viadukt. Von diesem Ziel war nichts Besonderes zu

Weitere Kostenlose Bücher