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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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erwarten. Immerhin, irgendein Ziel mußte sein, alle zehn Minuten. Er ließ die ziemlich zahlreichen Autos an sich vorbeifahren. Lastautos mit Waren, Autos mit Militär, ein abmontiertes Flugzeug, Privatwagen aus Bonn, Köln, Wiesbaden, Opelwagen, ein neues Modell, das er nicht kannte. Welches sollte er anwinken? Das da? Gar keins? Er ging weiter, kaute Staub. Ein ausländischer Wagen, ein einzelner, ziemlich junger Mann am Steuer. Georg hob die Hand. Der Wagenbesitzer hielt sofort. Er hatte Georg schon sekundenlang vorher die Straße daherziehen sehen. In einem Gemisch von Langerweile und Einsamkeit, das einem vortäuschen kann, man sei zu einem bestimmten Menschen von vornherein hingezogen, kam es ihm wohl noch vor, als hätte er Georgs Wink geradezu erwartet. Er machte den Platz neben sich frei von Decken und Gummimänteln und Krimskrams. Er sagte: »Wohin?«
     
    Sie sahen einander scharf und kurz an. Der Fremde war groß, mager und bläßlich und auch sein Haar war farblos. In seinen ruhigen, blauen Augen hinter farblosen Wimpern lag kein besonderer Ausdruck, weder von Ernst noch von Lustigkeit. Georg sagte: »Nach Höchst zu.« Als das raus war, erschrak er. »Ach«, sagte der Fremde, »ich Wiesbaden. Aber egal, egal. Frieren Sie?« Er hielt nochmals an. Er legte eine seiner karierten Decken über Georgs Schultern. Georg wickelte sich fest hinein. Sie lächelten sich an. Jetzt fuhr der Fremde los. Georg sah weg von der ihm zugewandten Gesichtshälfte, in der ein Kaugummi eine Beule machte, auf die Hände am Steuer. Diese flossigen farblosen Hände waren beredter als das Gesicht. An der linken Hand steckten zwei Ringe, einen hielt er für einen Trauring, bis er bei einer Bewegung merkte, daß der Ring nur umgedreht war, im Handinnern glänzte ein gelblicher flacher Stein. Georg quälte es, sich das alles so genau zu betrachten, aber es zwang ihn dazu. »Hier weiter herauf herum«, sagte der Fremde, »aber schöner.« – »Wie?« – »Oben Wald, hier näher Staub.« – »Rauf, rauf!« sagte Georg. Sie bogen ab, stiegen zuerst fast unmerklich zwischen den Feldern. Georg sah aber bald mit einer Art Schrecken die Höhen näher kommen. Es roch schon nach Wald. »Der Tag wird schön«, sagte der Fremde. »Wie heißen deutsch die Bäume? Nein, dort, ganzer Wald. Ganz rot?« Georg sagte: »Buchen«. – »Buchen. Gut, Buchen. Sie kennen Kloster Eberbach, Rüdesheim, Bingen, Lorelei? Sehr schön.« Georg sagte: »Uns gefällt dieser Teil hier besser.« – »Ach so, gut. Wollen Sie trinken?« Er hielt zum zweitenmal, wurstelte in dem Gepäck herum, schraubte eine Flasche auf. Georg tat einen Zug, verzog das Gesicht. Der Fremde lachte. Seine Zähne waren so blank und groß, daß man sie hätte für falsch halten können, wäre das Zahnfleisch nicht stark zurückgetreten.
     
    Sie nahmen zehn Minuten lang eine beträchtliche Steigung. Georg schloß die Augen in dem betäubenden Waldgeruch. Oben am Waldrand fuhr der Wagen in eine Schneise ein. Der Fremde drehte sich um, machte »Ah« und »Oh«, forderte Georg auf, die Aussicht zu besehen. Georg drehte den Kopf, behielt aber die Augen geschlossen. Da hinüberzusehen, über das ganze Wasser, über die Felder und Wälder, das konnte er jetzt nicht ertragen. Sie fuhren ein Stück in die Schneise hinein und drehten. Durch den Buchenwald kam das Morgenlicht in goldenen Flocken. Manchmal raschelte dieses flockige Licht, weil es dann doch der Laubfall war. Georg machte sich steif. Er war am Weinen. Er war doch schon sehr schwach. Sie fuhren landeinwärts, zunächst am Walde entlang. Der Fremde sagte: »Ihr Land sehr schön.« – »Ja, das Land«, sagte Georg. »Wie? – Viel Wald, Straßen gut. Volk auch. Sehr sauber, sehr Ordnung.« Georg schwieg. Dann und wann sah ihn der Fremde an, weil er nach Art von Landfremden den Mann für sein Volk nahm. Georg sah den Fremden nicht mehr an, nur seine Hände; diese kräftigen, aber farblosen Hände erweckten in ihm ein schwaches Gefühl von Widerwillen.
     
    Man ließ den Wald hinter sich zurück und kam durch ein abgemähtes Feld und dann durch Weinberge. Durch die vollkommene Stille, durch die scheinbare Menschenlosigkeit hatte die Landschaft etwas von einer Wildnis, so dicht sie bepflanzt war. Der Fremde gab Georg einen Seitenblick. Dadurch fing er Georgs scharf nach unten auf seine Hände gerichteten Blick auf. Georg erschrak. Aber der Fremde, der Kauz, hielt jetzt wahrhaftig nur an, um diesen Ring richtig zu drehen, den Stein nach

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