Das siebte Kreuz
gefiel, aber noch nicht vollkommen war. Vielleicht hat Heinrich bei jemand einen verbotenen Sender abgehört, vielleicht hat ihm jemand ein verbotenes Buch geliehen. Aber Heinrich war weder auf Radio erpicht noch auf Bücher. Er hatte sich immer dahin geäußert, daß ein Mensch doppelt vorsichtig sein müsse, der im öffentlichen Leben stünde, worunter er für seine Person die Kürschnerei seines Vaters verstand, an der er mitbeteiligt war.
Georg hatte Elli vor einigen Jahren nicht bloß mit dem Kind zurückgelassen, das soweit ganz gut gedieh, nicht bloß mit ein paar Erinnerungen, die teils noch brannten, teils schon verheilt waren, sondern auch mit ein paar halben dunklen Vorstellungen von all dem, was damals ihm, Georg, das Leben ausgemacht hatte.
Im Gegensatz zu den meisten Menschen während ihrer ersten Gefängnisnacht, war Elli rasch eingeschlafen. Sie war erschöpft wie ein Kind, das mehr erlebt hat, als ihm zukommt. Auch am folgenden Tag war ihr nur bang geworden, wenn sie an ihren Vater gedacht hatte. Sie war nicht zur Besinnung gekommen, dazu war alles zu unverständlich, sondern in einen unwirklichen Zustand halber Erwartung, halber Erinnerung. Angst hatte sie keine. Auch das Kind war in der Familie ganz gut untergebracht – in solchen Erwägungen hatte, ihr unbewußt, ein Gefaßtsein auf alles gelegen. Als man sie jetzt am frühen Nachmittag aus der Zelle holte, war sie bereit mit einer Art Mut, der vielleicht nur verkappte Schwermut war.
Aus den Aussagen ihres Vaters und ihrer Wirtin waren ihre Verhältnisse ziemlich klar hervorgegangen. Ihre Entlassung war bereits angeordnet, da sie in ihrer Lage, falls der Flüchtling noch versuchen sollte, sich ihr zu nähern, in der Freiheit viel nützlicher war, und den Mann, den sie loswerden wollte, um einen anderen zu nehmen, sicher nicht schützen würde. Daraufhin war das kurze Verhör angelegt. Elli beantwortete alle Fragen nach der Vergangenheit, nach den alten Beziehungen ihres früheren Mannes dürftig und zögernd, nicht aus Klugheit, sondern ihrer Natur gemäß und weil sie an diesen Teil ihres gemeinsamen Lebens wenig Erinnerungen hatte. Anfangs seien wohl Freunde zu ihnen gekommen, aber die hätten sich alle beim Vornamen genannt. Bald seien diese Besuche, an denen ihr nichts gelegen war, ausgeblieben; Heisler hätte die Abende auswärts verbracht. Auf die Frage, wo sie den Georg Heisler kennengelernt hätte, erwiderte sie: »Auf der Straße.« Franz kam ihr überhaupt nicht in den Sinn. – Elli bekam erklärt, daß sie jetzt heimgehen könne, aber Gefahr laufe, bei einer zweiten Verhaftung weder ihr Kind noch ihre Eltern je wiederzusehen, wenn sie so töricht sei, in der Sache des entsprungenen Heisler irgend etwas ohne Kenntnis der Behörden zu unternehmen oder eine Meldung zu unterlassen. Bei dieser Nachricht öffnete Elli den Mund; sie hob die Hände an die Ohren. Als sie gleich darauf in der Sonne stand, war ihr zumut, als sei sie jahrelang aus ihrer Heimatstadt weggewesen.
Ihre Wirtin, Frau Merkler, empfing sie schweigend. In ihrem Zimmer war eine heillose Unordnung. Auf dem Boden lagen Wollknäuel herum, Kindersachen und Kissen; dazu der starke Geruch von Heinrichs Nelkenstrauß, der frisch in seinem Glas stand. Elli setzte sich auf ihr Bett. Ihre Wirtin kam herein. Mit bösem Gesicht, ohne Einleitung, kündigte sie für den ersten November. Elli erwiderte nichts. Sie sah nur die Frau voll an, die ihr immer gut gewesen war. Ihre Kündigung war auch das Endergebnis langen Grübelns, scharfer Drohungen, bitterer Selbstvorwürfe, quälender Rücksicht auf den einzigen Sohn, den sie miternährte, schließlichem Dreinfinden.
Inzwischen war der Nachmittag vorgeschritten. Georg, in Höchst angelangt, hatte verzweifelt den Schichtwechsel abgewartet, der die Gassen und Kneipen füllte. Jetzt stand er eingeklemmt in einer der ersten vollgestopften Elektrischen, die aus Höchst herausfuhren.
Unschlüssig stand die Wirtin, Frau Merkler, in Ellis Zimmer, als warte sie, daß ihr von selbst Worte einfallen könnten, tröstend, begütigend für die junge Frau, die sie immer hatte leiden können, aber doch wieder nicht zu gute Worte, zur Beachtung der Gebote der reinen Güte verpflichtende.
»Liebe Frau Elli«, sagte sie schließlich, »nehmen Sie mir’s nicht krumm, das Leben ist so. Wenn Sie wüßten, wie es in meinem Herzen aussieht.« Elli erwiderte auch jetzt nichts. – Es schellte an der Flurtür. Beide
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