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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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oben. Er zeigte ihn Georg. »Ihnen sehr gefallen?« – »Ja«, sagte Georg zögernd. »Nehmen Sie, wenn gefallen«, sagte der Fremde ruhig, mit seinem Lächeln, das nur ein Zurückziehen der Lippen war. Georg sagte mit großer Entschiedenheit: »Nein«, und da der Fremde nicht gleich seine Hand zurückzog, sagte er hart, als wollte man ihm etwas aufzwingen: »Nein, nein.« Hätte ihn ja doch versetzen können, dachte er dann, kennt doch kein Teufel den Ring. Jetzt war es zu spät.
     
    Sein Herz klopfte immer stärker. Seit ein paar Minuten, seit sie den Waldrand über dem Tal verlassen hatten und hier durch die Stille fuhren, gab es in seinem Kopf einen Gedanken, den Keim zu einem Gedanken, dessen er selbst noch nicht habhaft wurde. Aber sein Herz, als ob es eher begriff als sein Verstand, schlug und schlug.
     
    »Gute Sonne«, sagte der Fremde. Er fuhr nur annähernd fünfzig Kilometer. Wenn ich es täte, dachte Georg, womit am besten. Was dieser Kerl auch sein mag, aus Pappe ist er nicht. Dem seine Hände da sind nicht aus Pappe, der wird sich wehren. Er zog langsam, langsam seine Schultern nach unten. Mit den Fingern berührte er schon das Stück Kurbel neben seinem rechten Schuh. Drauf auf seinen Kopf und dann raus mit ihm. Hier kann der lange liegen. Das war dann eben sein Pech, daß er mich getroffen hat. Das sind eben solche Zeiten. Ein Leben ist das andere wert. Bis man den findet, bin ich ja glatt aus dem Land mit diesem schönen, schönen Schlitten. Er zog den Arm zurück, stieß mit dem rechten Schuh das Eisen beiseite. »Wie heißt der Wein hier?« fragte der Fremde. Georg sagte heiser: »Hochheimer.« Reg dich doch nicht so fürchterlich auf, redete Georg sein Herz an wie der Schäfer Ernst sein Hündchen. All das tu ich doch gar nicht. Geh doch, beruhige dich doch; gut, wenn du absolut willst, dann steig ich eben hier aus.
     
    Da, wo die Straße aus den Weinbergen auf die Landstraße mündete, stand ein Meilenstein: Höchst zwei Kilometer.
     
     
     
    Heinrich Kübler konnte zwar immer noch nicht verhört, aber, nachdem er verbunden und hochgerichtet war, besichtigt werden. Alle Zeugen, die man zu diesem Zweck zurückbehalten hatte, zogen an ihm vorbei, stierten ihn an. Er stierte zurück auf alle, die er auch dann nicht gekannt hätte, wenn er ganz bei Sinnen gewesen wäre: das Zimthütchen, den Bauer Binder, den Arzt Löwenstein, den Schiffer, das Hechtschwänzchen, lauter Leute, die seinen Lebensweg nie gekreuzt hätten, wäre es nur nach der Vorsehung gegangen. Zimthütchen sagte vergnügt: »Kann’s sein, kann’s nicht sein.« Das sagte das Hechtschwänzchen auch, obwohl es ganz genau wußte, daß er’s nicht war. Aber die Unbeteiligten dauert es immer, wenn die Dinge nicht auf die Spitze getrieben werden. Binder erklärte fast finster: »Ist’s nicht, sieht ihm bloß ähnlich.« Löwenstein brachte den schlüssigen Beweis: »Er hat nichts an der Hand.« Wirklich, die Hand war der einzige Teil an dem Vorgeführten, der heil geblieben war.
     
    Darauf fuhren außer Löwenstein alle Zeugen auf Staatskosten an ihre Ausgangspunkte zurück. Zimthütchen ließ sich an der Essigfabrik absetzen. Binder fuhr durch eine Welt, die von Schmerz verwolkt war, heim nach Waisenau auf sein Wachstuchsofa, ganz ergebnislos, da er ebenso sterben mußte wie vor der Abfahrt. Hechtschwänzchen und der Schiffer ließen sich an der Anlegestelle in Mainz absetzen, wo gestern der Tausch stattgefunden hatte.
     
     
     
    Kurz darauf ging die Anweisung ab, Elli unter Bewachung ihrer Person und ihres Hauses wieder in Freiheit zu setzen. Vielleicht versuchte der echte Heisler selbst noch mit ihr in Verbindung zu kommen. Kübler, in der Verfassung, in der er sich jetzt befand, war zunächst unentlaßbar.
     
    Elli war in ihrer Zelle zuerst ganz versteinert gewesen. Als der Abend gekommen war, als ihr erlaubt wurde, sich auf der Pritsche auszustrecken, hatte sich ihre Erstarrung gelöst, und sie hatte versucht, in den Ereignissen einen Sinn zu finden. Heinrich, das wußte sie, war ein braver Junge, guter Eltern Sohn, hatte ihr keinen Dunst vorgemacht. Sollte er etwas angestellt haben in der Art wie Georg? Ja, er hatte manchmal geschimpft über die Steuern, über die Sammelei, über die Flaggerei, über den Eintopf, aber er hatte nicht mehr geschimpft und nicht weniger wie alle schimpfen. Schimpfte ihr Vater doch, wenn ihm etwas mißfiel, was weg sollte, und ihr SS-Schwager schimpfte über genau dasselbe, weil es ihm sehr

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