Das siebte Kreuz
zwei kalte Schnitzel aufaß. Jetzt erst recht, dachte Elli. Sie ging in ihr Zimmer herüber, zog das Zeug aus, das sie am Leib trug, machte sich frisch und rein von oben bis unten, zog ihre besten Wäschestücke und Kleider an, bürstete sich ihr Haar, bis es glänzte und locker war. Dieser hübschen, lockigen Elli, die ihr aus braunen, traurigen Augen aus dem Spiegel heraus entgegensah, war das Leben ein klein wenig leichter ertragbar. Wenn sie mich wirklich bewachen, wie mein Vater behauptet, dachte sie, gut, mir werden sie nichts anmerken.
»Alles war bloß Geschwätz«, sagte Mettenheimer daheim zu seiner verstörten Frau, »Elli sitzt in ihrem Zimmer, sie ist ganz gesund.« – »Warum hast du sie nicht mitgebracht?« Jener kleine Teil der Familie Mettenheimer, der noch unter dem Dach der Alten lebte, setzte sich um den Abendtisch. Vater und Mutter, Ellis jüngste Schwester, eben jene stupsnasige Lisbeth, die Mettenheimer keine geeignete Vorkämpferin in Glaubenssachen erschienen war, weshalb sie jetzt auch frisch umgekleidet für den Heimabend dasaß, sanft und hübsch wie alle ihre Schwestern, Ellis Kind, der Enkel, über dem Bauch eine Wachstuchschürze, leicht bedrückt von dem Schweigen über dem Tisch, weshalb er mit seinem großen Löffel in dem Rauch über der Schüssel herumfuchtelte.
Mettenheimer aß langsam, den Blick auf dem Teller, um von seiner Frau nicht gefragt zu werden. Er dankte Gott, daß seine Frau nicht Verstand genug hatte, um das ganze Verhängnis zu begreifen, das auf ihnen lastete.
Georg war wirklich nur eine halbe Stunde zu Fuß von ihm entfernt. Er stieg aus. Dann fuhr er hinaus nach Niederrad. Je mehr er sich seinem Ziel näherte, desto stärker wurde das Gefühl, daß er erwartet sei, daß man eben jetzt sein Lager bereitet, sein Essen richtet; eben jetzt horchte sein Mädchen nach der Treppe. Als er dann ausstieg, erfüllte ihn eine Spannung, der Verzweiflung ähnlich; als ob sein Herz sich sträubte, wirklich den Weg einzuschlagen, den er im Traum unzählige Male begangen hatte.
Die paar stillen Straßen mit ihren Vorgärten durchlief er wie Erinnerungen. Das Bewußtsein von Gegenwart war in ihm erloschen und damit jedes Bewußtsein von Gefahr. Hat nicht das Laub am Straßenrand damals geraschelt? fragte er sich, ohne zu fühlen, daß er das Laub mit dem Schuh selbst vor sich herstieß. Wie sein Herz sich sträubte, in das Haus hineinzugehen! Das war kein Schlagen mehr, das war ein wütendes Rütteln – er lehnte sich über das Treppenfenster, Gärten und Höfe vieler Häuser stießen zusammen; Mauersimse, Pflasteraltane waren besät von den unablässig fallenden Blättern eines starken Kastanienbaumes. Einzelne Fenster waren schon hell. Dieser Anblick hatte sein Herz so weit beruhigt, daß er weitersteigen konnte. An der Tür hing noch das alte Schild mit dem Namen von Lenis Schwester, darunter ein neues, eine kleine Tarsoarbeit, mit einem fremden Namen. Schellen oder klopfen? War das nicht einmal ein Kinderspiel? Schellen oder klopfen? Er klopfte leise. »Bitte«, sagte die junge Person in der gestreiften Ärmelschürze. Sie machte nur spaltweit auf.
»Ist Fräulein Leni daheim?« fragte Georg nicht ganz so leise wie er wollte, weil seine Stimme rauh war. Die Frau starrte ihn an, in ihr gesundes Gesicht, in ihre runden blauen Glasklickeraugen kam ein Ausdruck von Bestürzung. Sie wollte die Tür zuziehen, er stellte den Fuß dazwischen. »Fräulein Leni daheim?« – »Gibt’s hier nicht«, sagte die Frau heiser, »machen Sie, daß Sie wegkommen, aber augenblicklich.« – »Leni«, sagte er ruhig und fest, als wollte er seine eigene vergangene Leni beschwören, seinethalben das stramme, beschürzte hausbackene Weib zu verlassen, in das sie verhext worden war, doch die Beschwörung mißriet. Diese Person stierte ihn an in der schamlosen Angst, mit der Verhexte die anstieren mögen, die sich gleichgeblieben sind. Er schob die Tür rasch auf, schob die Frau in den Flur hinein, zog die Tür hinter sich zu. Die Frau entwich rückwärts durch die offene Küchentür. Sie hatte eine Schuhbürste in der Hand. »Aber, Leni, hör mich doch an, ich bin’s. Kennst du mich denn nicht?« – »Nein«, sagte die Frau. »Weshalb bist du denn dann erschrocken?« – »Wenn Sie jetzt nicht sofort aus der Wohnung weggehen«, sagte die Frau auf einmal ganz dreist und patzig, »können Sie etwas erleben. Mein Mann kommt jeden Augenblick.« »Sind das seine?«
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