Das Siegel der Finsternis - Algarad 1
Mund gefallen ist sie wahrhaftig nicht.«
»Ich finde, ihr Auftreten zeugt durchaus von Charme und Liebreiz«, bemerkte Chast im Kennerton, als spräche er über einen Wein.
»Charme und Liebreiz?«, höhnte Tenan. »Davon hat sogar Erskryns Jungdrache mehr als sie! Kein Wunder, dass sie mit dem Piraten verwandt ist.«
Er konnte nicht sehen, wie Chast im Dunkeln grinste.
14
Die Gefangenen stellten sich auf weitere Tage quälender Langeweile ein. Sie fragten sich, worauf Erskryn wartete. »Wahrscheinlich hat der Rote in der Zwischenzeit einen guten Preis für meine Leute ausgehandelt«, knurrte Harrid. »Ich habe beobachtet, wie er ständig mit einem der Südländer zusammensaß und feilschte. Meine Männer werden wohl bald nach Süden gebracht werden.«
Von draußen drangen die Geräusche der Vorbereitungen für ein großes Fest herein. Tenan sah durch das kleine Fenster an der Tür, dass eine große Feuerstelle aufgebaut wurde, über die man einen toten Ochsen hängte. Einige Männer – vermutlich Sklaven – drehten ihn über den Flammen, andere stellten auf dem großen Platz Zelte, Tische und Bänke auf. Einige hackten Holz, wieder andere brachten Schlachttiere oder schoben Karren mit Speisen und Bier- und Weinfässern heran.
Tenan fiel auf, dass noch andere Männer zugegen waren: Es waren Krieger mit sehr dunkler Hautfarbe und schwarzen, ledernen Kampfanzügen. Ihre langen Haare hatten sie zu Zöpfen hinter dem Kopf zusammengebunden. Sie trugen breiteSchwerter an ihrer Seite und bewegten sich mit katzenhafter Geschmeidigkeit und Selbstsicherheit. In kleinen Gruppen standen sie abseits der anderen und beteiligten sich nicht an den Vorbereitungen. Erskryn war oft bei ihnen und unterhielt sich angeregt mit einem, der offenbar ihr Anführer war: ein hünenhafter Krieger, dessen stechender, finsterer Blick einen schaudern ließ. Kräftige Muskeln spannten sich unter seiner Lederrüstung.
»Das sind Shon-Krieger von der Insel Bordun«, murmelte Chast, der neben Tenan getreten war. »Wenn auch wir ihnen als Sklaven verkauft werden, dann gnade uns Belgon.«
»Die Krieger aus Shon sind unbarmherzig«, stimmte Harrid ihm zu. »Es heißt, viele ihrer Sklaven überleben nicht mal die Überfahrt. Und diejenigen, die es schaffen und in Shon ankommen, wünschten sich später, sie wären auf See gestorben.« Er schüttelte verzweifelt den Kopf, und Tenan wusste, dass er an seine eigenen Männer dachte, die draußen auf dem Sklavenschiff darbten.
Die Feuerstellen auf dem Platz wurden entzündet. Schon bald brodelten große Kessel darüber, und der gebratene Ochse verbreitete einen verführerischen Duft, der bis in die Höhle der Gefangenen drang. Riesige Platten wurden mit dem Fleisch des Tieres und den hauchzarten Filets frisch gefangener Mindrayn-Fische gefüllt, deren Verzehr tödlich sein konnte, wenn man sie falsch zubereitete. Außerdem wurden von den Piratenfrauen verschiedenste Früchte geschält und zubereitet, darunter Okunen und Suri, die verlockend dufteten. Den Gefangenen lief das Wasser im Mund zusammen. Urisk begann, unruhig hin und her zu laufen, während er sich in hungriger Verzweiflung die Finger leckte und nach den Essensgerüchen schnupperte, als könne er davon satt werden.
Harrid murmelte: »Das ist die schlimmste Folter – tagelang kriegen wir nichts anderes als versalzenen Fraß, und dann machen sie einem den Mund mit einem Festmahl wässrig.«
»Ich glaube, ich würde jetzt alles tun für ein Stück Braten«, seufzte Chast inbrünstig.
Es wurde Abend, die ersten Sterne blinkten am dunkelblauen Himmel. Tenan beobachtete durchs Fenster, wie aus allen Richtungen Piraten herbeiströmten und sich in den Zelten sowie auf dem Platz verteilten. Die dunkelhäutigen Männer – es waren ungefähr zwanzig, wie Tenan schätzte – setzten sich zu Erskryn, der große Sitzkissen und edle Teppiche ausbreiten ließ, um es sich und seinen Gästen bequem zu machen. Obwohl es eine Feier war, trugen die Shon-Krieger weiterhin ihre dunklen Kampfanzüge und Waffen. Ihr lautes, derbes Lachen drang zu Tenan herüber. Große Teile des gebratenen Ochsen wurden herumgereicht, Bier, Met und Wein flossen in Strömen. Tenan konnte ein paar Frauen – nicht viele – erkennen, welche die Piraten und die Fremden bedienten. Eilenna war eine von ihnen. Sie schenkte ein und verteilte die Speisen. Zwischen den grobschlächtigen Männern wirkte sie anmutig wie eine junge Birke, die sich im Wind leicht zu dieser, dann wieder
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