Das Siegel der Finsternis - Algarad 1
seinen Händen. Irus Augen hatten sich geschlossen. Sein Gesicht spiegelte absolute Beherrschung und Versenkung wider, seine Züge waren angespannt. Unhörbar begannen seine Lippen Worte in einer Sprache zu formen, die nur die Eingeweihten kannten. Die fremdartigen Laute wehten aus den Abgründen der Zeit in die Gegenwart, um dort Gestalt und Form anzunehmen. Es waren Zauberformeln, die es ihm ermöglichten, tiefer in das Wesen des magischen Kristalls einzudringen.
Der Meledos glühte dunkelrot pulsierend. Das Leuchten wurde stärker und wanderte über Irus Finger, die Arme hinauf und hüllte schließlich seine ganze Gestalt ein. Es sah aus, als sei der Fürst von Dan in Blut getaucht. Auch das Deck des Schiffs schwamm in dem unheimlichen Licht.
»Das bedeutet nichts Gutes«, flüsterte Tarik und wich zurück. Er machte das Zeichen, das Schutz gegen bösen Zauber versprach.
Iru beachtete ihn nicht. Er hielt seine Gedanken weiterhin auf einen Punkt konzentriert. Unmerklich wechselte er die Ebene des Seins und tauchte in eine andere Dimension, in eine andere Sphäre ein.
Da sah er ihn .
Obwohl er das Schattenwesen nur in seinem Inneren wahrnehmen konnte, erkannte er die grauenhafte Gestalt sofort. Bedrohlich hoch und von schmaler Statur ragte das Wesen vor Iru auf. Seine ledernen Drachenflügel waren eng um seinen Leib gefaltet wie ein Umhang. Iru konnte keine Beine sehen, jedoch zeichneten sich reptilienartige Klauenfüße unter den Flügeln ab. Aus einem fahlen, zum Mund hin spitz zulaufenden Totenkopfschädel glühten weiße Pupillen. Dunkelheit umgab die Gestalt wie eine Aura.
Iru wusste sofort, wen er vor sich hatte. Der Bash-Arak, Herr der Schatten, schwärzer und heimtückischer als tausend Nächte der Verzweiflung, war in sein Bewusstsein getreten. Iru hatte von dem Wesen gehört. Viele Sagen und Erzählungen aus lange vergangener Zeit berichteten von ihm.
Der Schatten schwebte langsam näher. Eine Stimme ertönte. Sie klang wie Frost und glühende Kohlen in einem.
»Sterblicher! Seit vielen hundert Jahren habe ich deinesgleichen nicht gesehen. So bist du also der erste Zeuge meiner Befreiung.« Der Bash-Arak sprach mit ruhiger Gelassenheit, als sei sein Erscheinen eine Selbstverständlichkeit.
»Du bist vor Urzeiten in die Grauen Sphären verbannt worden«, gab Iru zornig zurück. »Die Magier von Dan versiegelten den Zugang zu den Grauen Sphären, damit du und die Deinen nie wieder Unheil in Algarad anrichten können. Und sie haben dir all deine Macht und Magie genommen.«
Das Lachen des Schattenherrschers brach sich in Irus Kopf. »All meine Macht? Mitnichten! Die Erzmagier von Dan konnten sie mir nur für die Welt der Menschen nehmen, nicht aber im Bereich der Grauen Sphären, in die ich von ihnen verbannt wurde. Du, Lord Iru, solltest doch wissen, dass einem geistigeKräfte niemals genommen werden können, wenn man sie durch eigenes Bemühen erlangt hat.«
Das war in der Tat so, und auch Iru hatte es nicht vergessen.
Der Bash-Arak fuhr fort: »Im Moment kann ich mich meist nur als körperloser Schatten in der Welt der Sterblichen bewegen, doch manchmal gelingt es mir schon, eine feste Gestalt anzunehmen. Dann erlebe ich einen süßen Vorgeschmack auf die Zeit meiner Wiederkehr in einem Körper. In deiner Welt mag ich noch schwach erscheinen und meine Magie beschränkt. Aber wenn mich erst die Aura des Meledos wieder umhüllt, werde ich der mächtigste Magier sein, sowohl in der Welt der Schatten als auch in Algarad, wo ich in einem lebendigen Körper wandeln werde! Denn wisse dies: Durch die lange Zeit in den Grauen Sphären bin ich noch gewaltiger geworden und habe Dinge erkannt, von denen der Orden von Dan nur träumen kann.«
»Dennoch konntest du aus eigener Kraft das Siegel, das den Weg nach Algarad versperrt, nicht brechen. Der Zauber der Erzmagier und des Meledos-Kristalls verhinderte es. Wer hat dir dabei geholfen, die Grenze der Sphären zu überschreiten?« Iru ahnte die Antwort schon.
»Ihr Menschen setzt großes Vertrauen in die Magie der Erzmagier. Und fürwahr: Der Meledos-Kristall versperrte mir und meinen Heerscharen eine lange Zeit – du würdest es eine Ewigkeit nennen – den Zugang nach Algarad. Aber es gibt kluge Wesen, die sich meiner Kräfte erinnern. Einem dieser Weisen habe ich es zu verdanken, dass das Siegel zwischen den Welten zerbrochen wurde. Nur wenige in Algarad sind dazu fähig. Und noch weniger würden es auch wirklich tun.« Es bereitete dem Schattenwesen
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