Das Siegel der Finsternis - Algarad 1
ausgeben – und hoffentlich Urisks Füße weitgehend verbergen«, fügte er mit einemBlick auf die Hufe des Fairin hinzu. »Sein Gesicht allein ist ja schon auffällig genug.«
Urisk zog eine Grimasse und blickte beleidigt zur Seite.
Osyn wedelte mit einem Brief, den er mit einem Wachssiegel verschlossen hatte. »Übergib diese Botschaft der Hafenmeisterei in Dorlin, bevor du ein Schiff besteigst. Ich habe eine Warnung an den Stadthalter vor den bevorstehenden Angriffen der Gredows verfasst. Wollen wir hoffen, dass er sie ernst nimmt.«
Zuletzt übergab Osyn Tenan den silbernen Beutel, in dem der Kristall lag. »Achte darauf, dass niemand den Stein zu Gesicht bekommt«, schärfte er ihm noch einmal ein. »Ungeachtet seiner magischen Fähigkeiten ist er von unschätzbarem Wert, und manch einer würde für ein solches Kleinod viel geben – oder töten.«
Tenan hängte den Beutel mit der Silberkette um den Hals und nickte.
»Wie bedauerlich, dass du noch keinen neuen Com herstellen konntest«, fuhr Osyn fort. »Mit ihm hättest du wenigstens Magie an der Hand, um dich zu verteidigen. Aber wer weiß, vielleicht ist es ja auch besser so, und du kannst niemandem da mit schaden.«
»Ich kann bestens mit einem Schwert umgehen«, brüstete sich Tenan. »Das dürfte auf meiner Fahrt von größerem Nutzen sein.«
»Hoffen wir, dass du weder den Com noch das Schwert brauchen wirst«, erwiderte sein Meister ernst. Er musterte Tenan, als wolle er ihm eine letzte Lektion mit auf den Weg geben, doch dann lächelte er. »Ich eigne mich nicht für große Abschiede. Mach, dass du endlich fortkommst! Hattest ja die letzte Zeit eh nichts anderes mehr im Kopf. Aber denk daran:Du hast dein Studium noch nicht beendet! Du kommst zurück, sobald du den Stein dem Erzmagier Amberon übergeben hast, verstanden?«
Er umarmte den jungen Mann fest. Tenan konnte nicht sehen, dass Tränen in seinen Augen standen. Er verneigte sich vor Osyn, wie es sich für den Adepten eines Comori geziemte.
»Ich danke Euch, Meister. Bitte seid auch Ihr vorsichtig. Ich möchte Euch gesund und wohlbehalten wiedersehen, wenn ich zurückkomme. Delinasté – das Licht soll Euch leiten!«
Osyn vermied eine Antwort. Stattdessen legte er Urisk die Hand auf die Schulter: »Und du, alter Freund, pass gut auf ihn auf! Du trägst nun die Verantwortung für ihn. Lass dir diese Gelegenheit nicht entgehen!«
Der Fairin versuchte ein keckes Lächeln zu zeigen, doch es wollte ihm nicht ganz gelingen.
Sie schulterten ihre Bündel, in die sie die wichtigsten Habseligkeiten gepackt hatten, winkten Osyn noch einmal zum Abschied zu und liefen los.
Die Straße führte am Dorf und den Bienenstöcken vorbei auf die Feldwege und in die Wiesenlandschaft ringsum. Auf einem kleinen Hügel drehte sich Tenan um und blickte zurück. Friedlich und verschlafen lag Esgalin im Morgendunst. Noch konnte er Osyn sehen, der mit seiner Laterne im Eingang der Hütte stand und ihnen nachblickte. Bald war er in den Nebelschwaden verschwunden.
16
Der Bash-Arak schwebte, einem Schemen gleich, über den Wäldern Gonduns. Wie ein Dieb in der Nacht tauchte der Herr der Schatten plötzlich auf, und ebenso unbemerkt verschwand er wieder im Nichts. Seine Schwingen trugen ihn lautlos und rasch von Ort zu Ort.
Im Osten der Insel brauchte er nicht mehr zu suchen. Dort erledigten die Krieger Achests in aller Stille und Grausamkeit ihr blutiges Handwerk. Dörfer und Siedlungen gingen unbemerkt in Flammen auf, und wenn jemand es dennoch sah, währte sein Leben meist nur noch kurz. Aus seinen luftigen Höhen konnte er die Bewegungen der Truppen wahrnehmen, die sich schlangengleich durch Wälder und Felder wälzten und, bevor sie zum tödlichen Schlag ausholten, ihre Angriffsziele mit jenem Ring des Todes umgaben, der so gefürchtet war.
Der Bash-Arak hatte seine Suche auf die mittleren und westlich gelegenen Bereiche Gonduns gelenkt, in welche die Gredows noch nicht vorgedrungen waren. Tagsüber versteckte er sich in dunklen Waldgebieten, in Höhlen oder morschen, ausgehöhlten Bäumen. Nachts streifte er umher, unsichtbar, unbemerkt von den schwachen Augen der Menschen, ein wahrer Schatten in der Dunkelheit, Meister seines Elements, getrieben von einem einzigen Ziel, von einer Suche, deren Erfolg seine Existenz bedeuten konnte: Irgendwo in den Wäldern Gonduns, den Tälern, den Feldern, in den kleinen Dörfern, den Häfen, irgendwo dort unten im dumpfen Nebel menschlichen Bewusstseins musste sich der
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