Das Siegel der Finsternis - Algarad 1
verzog Urisk den Mund, wandte den Kopf ab und verschränkte die Arme vor der Brust.
Osyn nahm ihn in Schutz. »Urisk ist wie alle Fairin ein Meister der Tarnung. Du solltest ihn nicht unterschätzen. Er war auf unseren gemeinsamen Reisen schon für manche Überraschung gut.«
»Jawohl!«, schniefte der Fairin. »Und nun sucht man Hilfe beim mächtigen Osyn.«
Der alte Comori wurde ernst. »Du hast richtig gehandelt, als du geflohen und zu mir gekommen bist, obwohl ich es dirverboten habe. Ohne dass du es wolltest, hast du gefunden, wonach die Gredows suchen.« Er erhob sich und holte den silbernen Beutel aus der Holzschachtel auf dem Kaminsims. »Hierin ist der rote Kristall versteckt, den die Gredows suchen.«
Urisk klappte den Mund vor Überraschung auf und zu. Er schaute sprachlos vom einen zum anderen.
»Es führt zu weit, dir alles zu erklären«, meinte Osyn. »Die Dinge geraten in Bewegung, ohne Zweifel. Höchst beunruhigend, was du da erzählt hast.« Er legte den Beutel in die Mitte des Tisches, setzte sich wieder und kramte nach seiner Pfeife.
Tenans Spannung stieg. Er sah, dass Osyn zögerte, als wolle er nicht weitersprechen. »Meister, was habt Ihr?«
Osyn nestelte umständlich an dem Tabaksbeutel und stopfte seine Pfeife. »Das Schicksal fragt nicht, ob es mir recht ist oder nicht, was es von mir verlangt«, brummte er scheinbar zusammenhanglos. »Das war noch nie so, in meinem ganzen Leben nicht. Also habe ich gelernt, Entscheidungen zu treffen, um den Anforderungen des Schicksals zu begegnen, auch wenn sie mich später grämen mögen.« Er blickte auf und schaute seinen jungen Adepten ernst an, der immer noch nicht verstand, was er sagen wollte. Als Osyn fortfuhr, klang seine Stimme schleppend. »Ich hatte gehofft, dass uns noch etwas Zeit bleibt, bevor ich eine schwere Entscheidung treffen muss. Ist es ein Zufall, dass gerade jetzt ein Stein der Enim aufgetaucht ist? Ich weiß es nicht. Aber es ist eine Gelegenheit, die wir ergreifen müssen. Ich bin während der letzten Tage in mich gegangen und habe mich gefragt, was als Nächstes zu tun sei. Und nun höre ich, dass die Gredows nach dem Meledos suchen und sogar einen Krieg mit Algarad dafür in Kauf nehmen. Das Reich ist in Gefahr. Die Zeit zum Handeln ist gekommen, wir dürfen nicht länger zögern.«
Er griff nach dem Beutel und wog ihn in den Händen. »Tenan, mein Sohn, dein größter Wunsch ist es seit jeher, endlich einmal von dieser langweiligen Insel und aus den Fängen deines alten Lehrers zu entkommen.«
Tenan wollte beschämt widersprechen, aber Osyn ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Ich glaube, dieser Wunsch wird nun in Erfüllung gehen. Du bist derjenige, der den Stein von On gefunden hat und der die Kraft und den Mut besitzt, die weite Reise übers Meer nach Caithas Eri, zur Insel des Hochkönigs, zu unternehmen. Du wirst Gondun verlassen müssen, und zwar schnell. Bist du bereit, das Wagnis auf dich zu nehmen und den Kristall nach Meledin in Sicherheit zu bringen?«
Tenan schluckte. Konnte es wahr sein? Hatte er richtig gehört? Er sollte sich auf eine Reise nach Meledin begeben! Endlich war es so weit! Er brachte vor Aufregung keinen Ton heraus.
»Ich will dir nicht verheimlichen, dass es gefährlich werden kann«, fuhr Osyn fort. »Du hast gehört, dass der Feind nach dem Meledos sucht und recht gewiss auch nach dir.«
Tenan nickte. »Ich bin mir der Gefahr bewusst, Meister«, sagte er mit rauer Stimme.
»Und gleichzeitig unterschätzt du sie. Achests Schergen sind hervorragend ausgebildet und werden deine Spur nicht mehr verlieren, sobald sie sie gefunden haben. Darum ist Eile geboten. Du musst morgen aufbrechen.«
»Und was wird aus Euch, Meister? Bleibt Ihr hier zurück? Was, wenn die Gredows hierherkommen und alles niederbrennen?« Trotz seiner Aufregung wegen der bevorstehenden Reise machte sich Tenan ernsthafte Sorgen um seinen alten Lehrer.
»Ich würde dich begleiten, wenn ich könnte. Aber ich mussjetzt eine Dorfversammlung einberufen und Gegenwehr organisieren. Der Dorfvorsteher Chem muss über die Gefahr unter richtet werden. Ich kann Esgalin nicht einfach seinem Schicksal überlassen. Und es gibt noch einen weiteren Grund, hierzubleiben: Es würde zu viel Aufsehen erregen, wenn ich dich begleiten würde. Jeder im Dorf würde misstrauisch werden, wenn der Comori und sein Student einfach über Nacht verschwinden. Es würden Gerüchte entstehen. Die Spione Achests würden schneller davon Wind bekommen, als
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