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Das Siegel der Finsternis - Algarad 1

Das Siegel der Finsternis - Algarad 1

Titel: Das Siegel der Finsternis - Algarad 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Reichard
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Furcht in seinem Blick auf. Er sagte nichts und wagte sich nicht in Tenans Nähe. Körperlich schien er unversehrt, aber er war stiller als früher. Er blieb noch einige Zeit unter der Aufsicht Peets.
    Dann, an einem späten Nachmittag, ertönte der laute Ruf der Bugwache: »Land, backbord voraus!«
    Tenan eilte zur Reling und spähte übers Wasser. Etwa drei Seemeilen entfernt waren die Hügel und Steilküsten von Inseln im Dunst zu erkennen. Schroffe Klippen und kantige Felsen trotzten dem Meer. Auf den Höhen waren vereinzelt verkrüppelte Bäume zu sehen, ansonsten war die Landschaft karstig und kahl. Die Tage auf See hatten Tenan fast vergessen lassen, wie Land aussah. Er sehnte sich danach, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
    »Wenn mich nicht alles täuscht, sind das die unbewohnten Kerr-Inseln«, erklärte Chast. »Wir sind nicht mehr weit entfernt von der Einfahrt in die Meerenge von Sinth.«

9
    Die Dakany ging vor einer kleinen Insel vor Anker. Es war Abend geworden, die Sonne versank hinter den gezackten Umrissen der Kerr-Inseln schnell am Horizont. Harrid befahl der Mannschaft, sich auszuruhen, um am nächsten Tag für die anstrengende Durchfahrt bereit zu sein. »Wir müssen früh in die Meerenge hineinsegeln, damit wir das Tageslicht ausnützenkönnen, falls es Probleme gibt. Die Fahrt wird einige Zeit in Anspruch nehmen.«
    Tenan konnte in dieser Nacht vor Aufregung kaum schlafen. Er wälzte sich ruhelos von einer Seite auf die andere. Wirre Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Auch die Sorge um Osyn quälte ihn wieder. Was mochte mit ihm passiert sein? War er am Leben? Hatten er und die übrigen Dorfbewohner den Angriff der Gredows überlebt? Als er in den Halbschlaf hinüberglitt, dachte Tenan zuerst, dass jene altbekannten und doch immer wieder grauenhaften Albträume zurückkehren wollten, die ihn schon so lange quälten. Doch diesmal tat sich im Traum eine andere Szenerie vor seinem geistigen Auge auf; er erblickte Dinge, von denen er nicht einmal sagen konnte, ob sie weniger schrecklich waren als die früheren Visionen.

    Dunkle Föhren erheben sich zu beiden Seiten eines Weges. Hohe, schlanke Schatten, die im Urgrund des Seins wurzeln. Man nennt sie die Wächter der Ruhe.
    Die Gestalt eines Mannes eilt über den schmalen, sandigen Weg. Die Kapuze seines weiten Mantels ist in den Nacken gerutscht, sodass die Gesichtszüge zu erkennen sind: Silbern schimmernde Augen, wie sie beim Volk der Enim üblich sind, leuchten in einem klugen, sanften Gesicht. Er trägt einen kurz geschnittenen Bart, schon leicht ergraut an manchen Stellen. Der Mann bekleidet das Amt eines Wächters, das in der Sprache der Enim Eren Hithril genannt wird, Wächter der Sicherheit. Üblicherweise bewegt er sich ruhig und gemessen, im Einklang mit der Natur, wenn er den Weg zu den Klippen am Meer beschreitet, um im Tempelhain die Rituale zu leiten. Doch nicht heute Nacht. Er rennt, Schweißperlen auf der Stirn, die Angst der Verzweiflung im Nacken. Hinter ihm gibt es nur den Tod, der ihm schon alles genommen hat, was ihm lieb war. Das Schicksal, das vor ihm liegt, ist nicht besser. Um seinen Hals hängt ein Beutel, dessen Last ihn zu Boden drückt. Bei jedem seiner Schritte klackert es dumpf, als ob der Beutel mit Steinen gefüllt ist.
    Der Wächter der Sicherheit weiß, dass der Inhalt des Beutels wertvoll ist. Sein einziges Streben ist, ihn in Sicherheit zu bringen. In Sicherheit vor den Verfolgern, die hinter ihm durchs Unterholz brechen. Er hört das Jaulen und Hecheln der Bluthunde und das Keuchen der Krieger, die sie antreiben. Er weiß, er läuft nicht um sein Leben, nicht mehr. Sein Leben ist wertlos im Vergleich zu der Wichtigkeit der Aufgabe, die er noch vollbringen muss. Es gibt nur noch ein Ziel, bevor er selbst hinübergehen wird ins Reich der Unterwelt.
    Er erreicht das Allerheiligste. Dort stehen ein kleiner Hain junger Birken und der Altar, an dem seit Urzeiten die heiligen Rituale vollzogen werden. Hier findet der Weg des Mannes sein Ende, diesmal endgültig. Der Altarstein leuchtet schwach im Widerschein der Flammen, die weiter oben am Hang das Dorf verwüsten. Der Wächter öffnet den Beutel. Ein gespenstisches Leuchten flutet über seine angespannten Züge.
    Die Hunde und die Häscher nähern sich. Ihre rot glühenden Augen schweben körperlos zwischen den Föhrenstämmen.
    Der Wächter zieht einen der Steine aus dem silbernen Beutel. Er schimmert in zarten Blautönen. Dann schleudert er ihn

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