Das Siegel der Finsternis - Algarad 1
der über der Stadt lag, konnte auch der scharfe Wind nicht vertreiben. Einige Häuser brannten noch. Die Krieger hatten Anweisung erhalten, die Lager und Kontorhäuser unversehrt zu lassen. Die Offiziere wiederum hatten Order, notfalls ihre eigenen Soldaten zu töten, wenn diese sich ihrem Zerstörungstrieb hingaben.
Die Stadttore und Ringmauern im Osten waren eingerissen worden und lagen in Trümmern. Nun wurden die Einwohner von Gredows auf den Plätzen zusammengetrieben und von den Offizieren verhört. Die Verhöre verliefen grausam, doch Drynn Dur hatte von seinem Herrn und Meister neue Befehle erhalten: Er sollte so wenige wie möglich von ihnen töten lassen. Stattdessen sollten die Gefangenen nach Caithas Dun gebracht werden, wo man sie als Sklavenarbeiter in den Gruben Nagathas benötigte. Der Admiral musste sich fügen, obwohl seine Krieger murrten. Menschensklaven waren nicht erwünscht, und die Gredows sahen sie lieber tot und konnten sich vorher noch an ihrem Leiden ergötzen. Um seine Soldaten dennoch bei Laune zu halten und die Angst der Sterblichen weiter zu schüren, hatte der Admiral ihnen erlaubt, wenigstens jeden zehnten Gefangenen hinrichten zu lassen. Das war eine Anzahl, die er vertreten konnte und die nicht auffallen würde. Aber so brutal und furchteinflößend die Folterungen und Hinrichtungen auch durchgeführt wurden, Drynn Dur musste schließlich einsehen, dass keiner der Einwohner Gonduns etwas von dem verschwundenen Kristall wusste.
Er selbst nahm ab und zu an den Verhören teil, wenn ihm langweilig wurde. Die Arbeiten an seinem Schiff zogen sich hin, und er schätzte die Abwechslung. Sie gestattete ihm, dieSchattierungen und Facetten der menschlichen Angst und des Grauens zu studieren, deren Anblick er seit dem letzten Feldzug entbehrt hatte, der fast zwanzig Jahre zurücklag. Damals war es um die Vernichtung des Volks der Enim gegangen. Der nun beginnende Krieg würde die Zerstörung Algarads und den Fall des Ordens von Dan zum Ziel haben.
8
Die Matrosen hatten Tres nach dem unheimlichen Vorfall in die Mannschaftsräume gebracht. Er war steif und starr wie eine Statue, konnte weder sprechen noch Nahrung zu sich nehmen. Apathisch lag er in seiner Hängematte, versorgt von Peet, einem Leichtmatrosen, der zugleich Schiffsarzt war. Tres’ Gesicht war grau und eingefallen. Er atmete schwer und schien in weite Fernen zu starren, in eine Dimension, zu der nur er Zugang hatte. Ein irres Glühen loderte in seinen Augen.
Peet wischte ihm den Schweiß von der Stirn und zog sich schaudernd zurück. Er vermied es, mehr Zeit als nötig in seiner Nähe zu verbringen. Tenan vermutete, dass Tres’ Geist im Reich der Schatten wandelte. So wenig er ihn leiden konnte, so sehr hoffte er trotzdem, dass er bald wieder aus diesem Zustand auftauchte. Niemand konnte abschätzen, ob er dauerhaften Schaden nehmen würde.
Harrid hatte seine Männer in einer kurzen Ansprache davon überzeugt, dass sie ihren Dienst wie gewohnt weiter versahen und dass keine Gefahr für sie bestand. Aber die Matrosen waren ängstlich geworden und beäugten Tenan misstrauisch. Wie zu erwarten, gingen sie ihm aus dem Weg, wenn er sich anDeck zeigte. Er galt nun als Unheilsbringer, als Magier, der das Schiff und die Mannschaft in Gefahr brachte.
Sollten sie doch glauben, was sie wollten! Tenan zog sich trotzig aufs Achterdeck zurück, wie Harrid es ihm vorgeschrieben hatte. Dennoch bedrückte ihn der Vorfall. Jeder an Bord wusste nun, dass er einen magischen Kristall bei sich trug. Das hätte nicht passieren dürfen.
Es war nicht auszuschließen, dass nach ihrer Ankunft in Meledin Spitzel Achests von dem Vorfall erfuhren und aufmerksam wurden. Tenan hoffte inständig, dass es dazu nicht kam und der Kristall bald schon sicher in der Obhut des Ordens von Dan ruhte. Wenn doch nur die verfluchte Flaute endlich aufhören würde!
Glücklicherweise verhielt sich Harrid ihm gegenüber zwar weiterhin gewohnt bärbeißig, aber einigermaßen freundlich. Falls er nun Abneigung gegen ihn empfand, ließ er es sich nicht anmerken.
»Um eines bitte ich Euch«, sagte Tenan eines Abends eindringlich, als er sich mit Chast und Harrid auf dem Achterdeck befand und zuschaute, wie die Sonne im Meer versank. »Erwähnt den Kristall niemandem gegenüber, wenn wir in Meledin angekommen sind. Mein Meister hat mir eingeschärft, dass er gefährlich ist. Jeder, der etwas über ihn weiß, schwebt in Gefahr.«
»Das musst du mir nicht groß
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