Das Siegel der Finsternis - Algarad 1
Das Schiff schien auf dem Nichts zu schweben. Nur das Glucksen der Wellen verriet, dass es sich auf dem Meer befand. Da! Wieder spiegelte sich ein Lichtstrahl im Wasser, der von der Dakany kam. Einmal, zweimal, Pause. Dann die Wiederholung. Die Bestätigung folgte vom Land.
Schlagartig wurde Tenan klar, dass die Signale vom Mastkorb gesendet wurden. Als er nach oben schaute, war jedoch nichts mehr zu sehen. Einige Augenblicke vergingen, da bemerkte er, wie der Wachposten leise und vorsichtig die Wanten hinabstieg. Schnell schlüpfte Tenan hinter ein Beiboot und hoffte, der andere habe ihn nicht bemerkt. Schritte näherten sich. Als der Mann in den schwachen Lichtkegel der Fackeln trat, entfuhr Tenan ein wütendes Zischen: Es war niemand anderes als Tres! Ein feines Lächeln schien seinen Mund zu umspielen. In der Hand trug er eine Laterne, die mit einer Holzklappe verdunkelt werden konnte, um Lichtsignale zu geben. Er bewegte sich leise, als wolle er nicht bemerkt werden. Tenan beschlich das ungute Gefühl, dass er etwas vorhatte, um das Schiff in Gefahr zu bringen.
Er war sich unschlüssig, ob er ihn zur Rede stellen sollte. Was führte er im Schilde? Sollte er abwarten und Harrid morgen von seiner seltsamen Entdeckung berichten? Würde der Kapitän ihm glauben? Offiziell lag Tres immer noch als Patient unter Peets Aufsicht in den Mannschaftsräumen. Er konnte alles abstreiten und ihn einen Lügner nennen. Nein, Tenan brauchte einen Beweis für Tres’ nächtliche Aktivitäten. Er musste ihn zur Rede stellen und die Signallampe an sich nehmen.
Tres bewegte sich in seine Richtung, kam auf die Luke zu, die in die Mannschaftsquartiere unter Deck führte. Gleich war er an ihm vorbei. Tenans Bein schnellte nach vorn. Tres stolperte, die Lampe fiel polternd auf den Boden und verlosch. Sofort war Tenan über ihm, sprang auf seinen Rücken und drückte den völlig überraschten Seemann zu Boden.
»Kein netter Zug, einen auf diese Art zu Fall zu bringen, nicht wahr?«, knurrte Tenan, packte ihn an den Haaren und zog seinen Kopf nach hinten. »Was hast du da oben getrieben?«
Die kurze Überraschung, die auf Tres’ Gesicht zu sehen war, wich einem Grinsen, als er Tenans Stimme erkannte. »Sieh an, der junge Edelherr«, keuchte er. »Was für eine Freude. Hast du deinen verfluchten Kristall bei dir? Möchtest du nicht selbst mal hineinschauen?«
»Dich hat keiner dazu gezwungen, es zu tun. Was passiert ist, ist allein deine Schuld. Mich interessiert nur, was du hier zu schaffen hast. Wem hast du gerade Leuchtzeichen gegeben? Rede schon!« Er riss an den Haaren des anderen.
Doch der gab nur ein gepresstes Lachen von sich. »Was geht’s dich an? Du mischst dich zu viel in die Angelegenheiten von anderen ein. Wird Zeit, dass du lernst, wo deine Grenzen liegen!«
Tenan hatte die Stärke des anderen unterschätzt, die selbst nach dem Krankenlager der letzten Tage noch erstaunlich war. Tres war ein kampferprobter Matrose und Tenan an Kraft bei weitem überlegen. Ehe er sich’s versah, stemmte sich Tres hoch, warf ihn von seinem Rücken und rollte zur Seite. Sofort kam der Matrose wieder auf die Beine und stürzte sich auf ihn. Er packte ihn am Kragen, riss ihn hoch und schleuderte ihn im hohen Bogen übers Deck. Tenan krachte gegen einen Stapel von Fässern, die polternd umfielen und über das Deck rollten.
Tres zückte seinen Dolch, mit dem er üblicherweise seine Schnitzarbeiten verrichtete. »Was hältst du von einer kleinen Erinnerung an unser Treffen? Ich werde dir ein Mal in die Haut ritzen, damit du immer weißt, mit wem du es zu tun hattest!«
Tenan rappelte sich auf. Er sah den Wahnsinn, der wie ein irres Feuer in den Augen seines Gegners loderte. Es war, als habe wieder ein Wesen aus einer anderen Welt von ihm Besitz ergriffen.
»Noch besser – ich werde dich töten«, sagte Tres mit kalter Sachlichkeit.
»Man wird mich vermissen und sich fragen, wo ich stecke«, erwiderte Tenan. Sein Kopf schmerzte von dem harten Aufprall. Er musste Zeit gewinnen. Anscheinend hatte niemand das Gepolter gehört.
»Dein Verschwinden wird ein ewiges Geheimnis bleiben«, entgegnete Tres. »Mich wird niemand verdächtigen, denn ich liege krank in meiner Hängematte.« Seine Stimme war samtweich, während er sich Tenan näherte. »Vielleicht bist du einfach über Bord gefallen, weil du dich zu weit über die Reling gebeugt hast?«
Unvermittelt sprang er vor. Tenan trat einen Schritt zurück und stolperte über einen Haufen
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