Das Siegel der Macht
Es war ihm auch egal. »Gerbert wollte Euch verschonen.«
»So sag endlich, was los ist!«
Leise, kaum hörbar, brach es aus Alexius heraus: »Nilus von Serperi, der heilige Eremit. Er will Euch und Papst Gregor die Rache am entweihten Johannes Philagathos nicht verzeihen. Er hat Euch verflucht …«
Otto wurde blass. Verzweifelt umklammerte er den Arm des Freundes. »Ich habe es geahnt«, flüsterte er. »Das Schreckensbild des abgesetzten Papstes auf dem Esel werde ich niemals vergessen. Auf Gregors Wunsch ist er verstümmelt, gedemütigt worden.« Der Kaiser fasste sich und stand auf. »Aber das entschuldigt mich nicht, Alexius. Als Herrscher von Gottes Gnaden muss ich ein Friedensfürst sein und Qualen dieser Art verhindern.«
»Auch ich dürfte keine Rachegefühle haben. Und doch werden sie immer stärker. Habt Ihr entschieden, wann jener Oktavian von Sabina endlich hingerichtet wird?«
»Wir brauchen ihn noch. Übermorgen brechen wir mit dem Heer nach Caere auf. Graf Benedikt von Sabina hat zahlreiche Besitzungen des Reichsklosters Farfa erobert. Wir haben verhandelt, aber er will nichts zurückgeben. Nun lebt der Sabiner in der gut befestigten Stadt Caere am Meer.«
»Wollt Ihr den Sohn als Geisel benutzen?«
»Nicht nur ihn, auch seine Schwestern. Sie leben im Gästehaus meiner Residenz in Gefangenschaft.« Der Gedanke an die jungen Frauen zauberte unvermutet ein Lächeln auf Ottos Gesicht. »Wollen wir heute Abend in ihrer Gesellschaft essen, Alexius? Nur du und ich und die Gefangenen. Das wird uns ablenken.«
Wir sind jung, wir leben, dachte Alexius und spürte seit Lucillas Tod den ersten Anflug von Optimismus. Andere Gefühle schwangen mit, die er sich selbst nicht eingestehen wollte. Fieberhafte Erregung, süß und verheißungsvoll.
»Willkommen zurück in der Welt!« Der Kaiser erriet seine Gedanken. »Sobald du wieder einsatzbereit bist, habe ich wichtige Botschaften für Einsiedeln und das Kloster von Pfäfers. Es gibt dort auch einen Besitzstreit zu schlichten. Außerdem möchte Gerbert dir ein persönliches Schreiben für den Abt von Fleury mitgeben. Du kannst dich in einigen Tagen dem Gefolge Abt Odilos anschließen, der über Peterlingen nach Cluny reist.«
Es war so schwül an jenem römischen Abend Mitte Mai, dass der Kaiser mit seinen Gästen im Säulenpatio speiste, das an den Garten grenzte. Die südländischen Pflanzen, der berauschende Blütenduft tauchten die Atmosphäre in einen Zauber, der die jungen Frauen nicht erreichte. Stumm, mit ausdruckslosen Gesichtern, ließen sich die Töchter des Grafen von Sabina zur Tafel führen. Ottos Dienerinnen hatten die jungen Frauen in Hemden und Tuniken aus feinstem Stoff gekleidet. Stephania, die ältere Schwester, trug das dunkelblonde Haar mit Bändern kunstvoll hochgebunden. Strahlend setzte der angeregte Kaiser sich neben sie, gönnte seinen Augen, was er bisher nur flüchtig und von weitem bewundert hatte.
Alexius nahm neben Sergia Platz und musterte sie. Dunkles Haar, schwarze Augen, aufgeworfene volle Lippen. Die rubinrote Seide enthüllte den geschmeidigen Körper, statt ihn zu bedecken.
»Vater will nicht, dass wir Wein trinken«, wehrte sich Stephania und hielt die Hand über ihren Becher, als der Kellermeister neben ihr stand.
Otto verwehrte ihr den Griff zur Wasserkaraffe. »Heute bestimmt der Kaiser, nicht der Graf von Sabina.«
Die befehlsgewohnte Stimme beunruhigte die junge Frau. »Seid Ihr Kaiser Otto? Dann sagt, was will man von uns? Vater, Oktavian. Sind sie …«
Der Name wirkte auf Alexius wie ein Schwerthieb. Hassgefühle flammten auf, glühend wie Kohle. Aber seltsamerweise erschien ihm Sergia plötzlich begehrenswerter.
Otto antwortete ruhig: »Graf Benedikt befindet sich gesund auf seinen Ländereien in Caere, Euer Bruder Oktavian ist mein Gast, allerdings nicht hier in der Residenz.«
»Dürfen wir ihn sehen?«
»Vielleicht. Wollt Ihr nicht die gefüllten Wachteln kosten? Ich bestehe darauf, dass dazu Wein serviert wird.«
Stephania und Sergia begriffen den Zusammenhang. Schweigend leerten sie ihre Becher, kosteten die Wachteln, griffen erneut zum Wein.
Amüsiert beobachteten Otto und Alexius, wie die Wangen der jungen Frauen heiß und rot wurden, der Glanz ihrer Augen vertiefte sich. Gebannt folgten sie der Stimme eines Sängers mit Saiteninstrument. Der Kaiser legte Stephania die Hand um die Hüfte. Sie stieß ihn nicht weg.
»Stephania ist verheiratet«, flüsterte Sergia Alexius erschrocken ins
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