Das Siegel der Macht
schwieg, überflog einige Pergamentrollen und strich eine beeindruckende Urkunde glatt. »Hier, das Privileg Papst Gregors. Erst vor fünf Monaten ausgestellt. Er nimmt außer Pfäfers auch das uns zugehörige Valentiankloster unter Schutz.«
»Was kümmert es den Grafen, ob Mönche oder Nonnen beten?«, wiederholte Kolumban hartnäckig seine Frage.
Der Abt war irritiert. »Wenn Ihr es unbedingt wissen wollt«, flüsterte er geheimnisvoll, »so beugt Euch näher zu mir. Ich möchte nicht, dass Spione des Grafen etwas hören.«
Gespannt folgten Alexius und Kolumban ihm zu einer Fensternische. Der Abt von Pfäfers fuhr fort: »Graf Christoph von Rätien hat sich in den Kopf gesetzt, seiner Tochter das Lesen beizubringen. Das einzige kleine Kloster in der Nähe seiner Burg ist jene Celia des Valentiankonvents. Deshalb hat er die Nonnen gerufen.«
Alexius fühlte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Beunruhigende Erinnerungen überfielen ihn wie eine Sturmflut. Er entschuldigte sich und verließ das Abthaus.
Kolumban hastete hinter ihm her. »Ihr solltet wirklich heiraten, kaiserlicher Missus!«, spöttelte er. »Allein der Gedanke an vornehme Töchter macht Euch hitzig.«
»Wenn Ihr wüsstet«, stöhnte Alexius und zog sich ins Gästehaus zurück. Er streckte sich auf seinem Bett aus und zwang sich zu nüchternen Gedanken, dachte an die vornehmen Sächsinnen, die meist mehrere Tagereisen von den elterlichen Ländereien entfernt in Klöstern erzogen wurden. Weshalb musste für Gisela ein ganzes Kloster umgekrempelt werden? Die Antwort peitschte seine Erregung auf wie Feuer. Natürlich, dachte er, Gisela kann der Vater nicht in einem abgelegenen Kloster unterbringen. Er muss sie im Auge behalten. Sonst würden Verehrer zu Dutzenden das Kloster bedrohen, um die Tochter zu entführen.
Alexius verwünschte Otto, der ihn nach Pfäfers geschickt hatte. Mit der Absicht, ihn zu verkuppeln. Am Nachmittag vor seiner Abreise im Mai hatte der Missus den Herrscher auf dem Aventin in Rom besucht …
»Du musst auch nach Rätien reiten«, hatte Otto ihn nach der Begrüßung überfallen. Er nahm ein gefaltetes Schriftstück von einer Holztruhe. »Hier, ein Notar hat die nötigen Dokumente für dich kopiert.«
»Nein«, sagte Alexius spontan. Nein, nur das nicht. Zum ersten Mal wagte er es, einer Anweisung des Kaisers zu widersprechen.
»Ein gewöhnlicher Bote genügt nicht, Alexius«, wies der Kaiser seinen Einwand zurück. »Es handelt sich nicht nur um einen Brief. Du musst dort auch Recht sprechen.« Ottos Mund verzog sich zu unkontrolliertem Lachen. Er wandte sich ab und schaute aus dem Fenster in den Garten.
»Ein Komplott!«, rief Alexius und fasste den Kaiser beim Arm. Der Missus war belustigt und zugleich nervös. »Hat der Graf von Rätien Euch gebeten, mich nach Pfäfers zu schicken?«
»Alexius. Es ist mein Wunsch, dass du Gisela von Rätien heiratest.«
»Ein Befehl …«, flüsterte Alexius ungläubig.
»Deines Freundes, nicht des Kaisers.« Otto fasste den jungen Griechen beim Arm und zog ihn in den Garten. Über den Pinienkronen auf der Kuppe des Aventins glühte die Sonne rotgolden. Das Spiel von Licht und Schatten, ein penetrant süßlicher Duft. Die Stimmung weckte Sehnsucht in Alexius. Sehnsucht und unmögliche Träume.
Otto sah es und flüsterte: »Du musst Lucillas Tod endlich überwinden. Eine verführerische kleine Hexe wie die Tochter Graf Christophs ist genau das Richtige, um dich zu kurieren.«
»Sie hat mich damals in Rätien fast verrückt gemacht«, gab der Missus zu. »Aber ich möchte nicht wegen einer einzigen Nacht mein Leben verpfänden.«
»Christoph ist reich, diese Ehe wird dein Ansehen heben.«
»Trotzdem …« Alexius suchte vergebens nach Worten.
Der Kaiser spazierte wortlos durch den Garten und setzte sich neben einen Strauch. Zerstreut folgte er mit den Fingern der Linie eines von wuchernden Blumen fast versteckten Marmorreliefs. Plötzlich sprang er auf und stellte sich nahe vor Alexius: »Lass den Befehl! Aber eines musst du mir versprechen. Bei deinem Ritt nach Pfäfers wirst du bei Graf Christoph einkehren. Wenn du der Kleinen ein zweites Mal widerstehst, so kannst du die Heirat von mir aus vergessen. Aber wie ich dich kenne …« Der Kaiser lachte und wies mit dem Kinn ans Ende des Palastes, wo die Töchter des Grafen von Sabina gewohnt hatten.
Ohne für sein Recht zu kämpfen, gab der Graf von Rätien nach. Er verpflichtete sich vor dem kaiserlichen Missus, das
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