Das Siegel der Macht
dass ich mit diesen Todesfällen nichts zu tun habe, verzichtet Ihr dann auf weitere Nachforschungen?«, fragte der Abt beschwörend.
Alexius zögerte. »Das kann ich nicht«, flüsterte er schließlich. »Ich habe Carolus mein Versprechen gegeben.«
»Ihr seid hartnäckig.« Abbo stand auf, ging hastig hin und her, setzte sich wieder. »Auch wenn Ihr dabei das Leben riskiert, ein Versprechen ist Euch heilig. Und Ihr fürchtet mehr als alles andere die Verdammung Eurer Seele.« Als Alexius wortlos nickte, fuhr der Abt fort: »Kniet nieder, Alexius, Graf von Olseck! Schwört mir bei Eurem eigenen und beim Seelenheil Eurer Eltern und Freunde, dass Ihr keinem Menschen verraten werdet, was ich Euch jetzt erzähle.«
Beim Schwören fühlte Alexius Panik in sich aufsteigen. Abbo erriet seine Gedanken. »Keine Angst, Missus des Kaisers. Ich muss Euch kein böses Geheimnis anvertrauen. Das Ziel meiner Bemühungen ist der Friede. Aber die Zeit ist noch nicht reif, um meine Pläne in alle Winde zu schreien.«
Abbo von Fleury wählte seine Worte vorsichtig, rollte vor dem sprachlosen Alexius eine faszinierende Idee auf. Melchisedek bedeutete für ihn und alle Reformäbte das Papsttum der Zukunft, die Vollendung des Christentums. »Einzig hinter den Klostermauern hat sich die geballte christliche Kraft bewahrt«, behauptete der Vorsteher von Fleury. »Die reinen Mönche hören den Ruf Gottes stärker als alle Weltgeistlichen. Sie wollen das Gottesreich auf Erden bringen und streben eine gute Macht an.«
»Niemand hat etwas dagegen, dass Ihr das Gute verbreitet.«
»Ihr versteht nicht!«, rief Abbo leidenschaftlich. Mit kleinen Schritten ging er im Zimmer hin und her. »Wir stehen im tausendsten Jahr nach Christi Geburt! Aetates ferreae … Eiserne Zeiten sind gekommen, die göttliche Harmonie auf Erden ist gestört. Wenn der Antichrist über das Gute siegt, steht uns das Weltende bevor.«
Alexius erinnerte sich an Kolumbans Worte nach ihrer letzten Begegnung mit einem Wanderpriester. »Aber Ihr wisst doch, dass der Antichrist nicht nur jetzt erwartet wird«, wandte er ein. »Jeden Moment kann die Zeit um sein.«
»Media in vita in morte sumus. Ja, Ihr habt Recht. Die Zeichen sprechen aber dafür, dass dieser Moment jetzt gekommen ist«, entgegnete der Abt mit singender Stimme. »Habt Ihr Satans Wirken nicht bemerkt? Stürme im letzten Jahr, Blutregen, im Februar ein Komet. Überschwemmungen, Epidemien und …« Abbo beugte sich vor, hob seine Lider und starrte Alexius in die Augen. »Sogar mehr Missgeburten gibt es, nicht zu reden von der Hungersnot im Norden.« Der Kaiserbote wollte ihn unterbrechen, aber der Abt schnappte kurz nach Luft und sagte beschwörend: »Nur die gemeinsame Kraft aller Gotteskinder auf Erden kann das Böse besiegen.«
»Sind wir nicht alle Gotteskinder?«, wagte Alexius einzuwerfen.
Abbo setzte sich wieder. »In der irdischen Gemeinschaft der Christen gibt es das Gute und das Böse. Seht Ihr nicht ein, dass sich dies ändern muss?«
Verständnislos zuckte der junge Grieche mit den Achseln. »Wie wollt Ihr denn vorgehen?«
»Das habe ich Euch gesagt! Nur hinter den Klostermauern lebt der reine gute Geist fort. Deshalb wollen die Äbte und ihre Mönche das Gottesreich auf Erden bringen.«
Aus diesem Grund musste der Verband der Reformklöster immer stärker werden. Damit nicht nur die Äbte, sondern auch die Bischöfe und Kardinäle aus den Reihen der Mönche erwählt würden.
»Papst wird künftig immer ein Abt«, prophezeite der Vorsteher von Fleury. »Jeder Klosterbruder ist seinem Abt Gehorsam schuldig. Deshalb werden die Mönche, Äbte, Bischöfe und Kardinäle dem Höchsten unter ihnen, dem Papst-Abt, verpflichtet sein. Wenn ein Guter alle beherrscht, hat Satan keinen Zugriff mehr auf diese Welt.«
Neugierig unterbrach Alexius den Redefluss seines Gastgebers. »Was haben die Wanderpriester damit zu tun?«
Abbo wollte in seinem Monolog fortfahren, besann sich aber und ging auf die Frage seines Gastes ein. »Die Bischöfe werden vom Klerus und vom Volk gewählt. Wenn die Masse der Gläubigen unserer Idee folgt, wird es in Zukunft einfach sein, Klosterbrüder auf den episkopalen Thron zu setzen.«
Alexius war sprachlos. Plötzlich erschrak er und fragte: »Was habt Ihr mit Papst Gregor vor? Er ist kein Mönch, sondern in der Domschule unterrichtet worden.«
»Beruhigt Euch! Ihm droht keine Gefahr, im Gegenteil. Papst Gregor kennt unsere Pläne. Alle Äbte schützen ihn, und er sie.
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