Das Siegel der Macht
er einen Brief für den Grafen von Tusculum vor sich hatte. Dieser wurde aufgefordert, sofort mit allen Panzerreitern des Klosters Farfa loszureiten. Er solle diese in Tusculum mit seinen eigenen Kriegern vereinen und die gesamte Streitkraft nach Rom führen. Unter den wenigen Zeilen ein einzelner Buchstabe. Alexius traute seinen Augen nicht. Kein Name, nur die verschlungenen Halbkreise. Der Missus nahm das Wachssiegel in die Hand und entdeckte auch darauf Abbos Zeichen:
Auf der letzten Strecke nach Rom weigerte sich Alexius am nächsten Tag, über die Bedeutung des Schreibens nachzudenken. Nur keine Beziehung schaffen zwischen diesem Brief und Abbos Geheimnis!
Als er in der Abenddämmerung die Stadtmauern vor sich sah, mied der Missus instinktiv die Porta San Peregrini. Er wollte die Engelsburg rechts liegen lassen. Der Gedanke an Lucilla wurde trotzdem wieder lebendig. Alexius schob ihn zur Seite, führte sein Gefolge durch die Porta Flaminia und am Kapitol vorbei zum Circus maximus. Die neue Kaiserpfalz am südöstlichen Abhang des Palatins stach ihm sofort in die Augen. Ein großzügiger Bau aus Stein mit einem inneren Garten und zahlreichen Nebengebäuden. Alexius meldete sich an der Hauptpforte der Pfalz.
Von einem verängstigten Diener wurde der Bote ans Krankenlager seines Kaisers geführt. Alexius achtete nicht auf die umstehenden Ärzte und Ratgeber. Bewegt fiel er neben dem Bett in die Knie. Jemand reichte ihm ein Waschbecken. Zerstreut säuberte der junge Grieche die Hände und umfing den Kaiser. Seine Finger tasteten nach der glühenden Stirn. Plötzlich machte sich die Spannung der einsamen Monate Luft. Alexius schluchzte hemmungslos.
Elana stand am Fenster, wartete, bis er sich beruhigt hatte. Als Alexius aufsah und ihren Augen begegnete, öffnete sie die Arme.
»Meine Retterin aus dem Kastell des Crescentius Nomentanus«, flüsterte er und vergrub das Gesicht in ihrem Haar. Elana umfing ihren Schützling und drückte ihn an sich.
Wie durch einen Schleier hörte der Missus das Hüsteln der Ärzte. Ohne auf die Umstehenden zu achten, nahm er Elanas Gesicht sanft zwischen die Hände. Er näherte sich ihr, bis er fast ihre Lippen berührte.
Als Gerbert eintrat, drehte Alexius sich um und ging zum Krankenbett. »Wie schlimm ist das Fieber?«, fragte er leise.
»Seit Tagen unverändert hoch. Wir befürchten das Schlimmste. Jeden Augenblick wird ein Arzt aus Salerno erwartet. Aber wer weiß, ob er helfen kann.«
Ratlos verließen die beiden Freunde das Krankenzimmer. Gerbert führte Alexius in eine stille Schreibstube am Westende der Pfalz. »Wir können nichts tun als warten und hoffen«, sagte der Gelehrte, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Schweigend saßen sie einige Minuten lang beisammen. Dann konnte Gerbert sich nicht zurückhalten. »Nun aber heraus mit der Wahrheit, Alexius! Noch vor dem Abendessen will ich wissen, was dich so lange in Fleury aufgehalten hat.«
Dankbar schob Alexius die letzte Neuigkeit vor und gab Gerbert den im Wald gefundenen Brief.
Mit wachsender Spannung verschlang der Gelehrte den Inhalt und hatte seine Frage vollständig vergessen. »Der Graf von Tusculum ist mit Abt Hugo von Farfa verwandt«, kommentierte Gerbert das Schreiben. »Deshalb reist er oft zum Kloster in den Sabinerbergen. Offenbar fordert der Briefschreiber ihn auf, Farfas Panzerreiter sofort nach Tusculum zu führen. Dort soll der Graf seine eigenen Krieger sammeln und mit der gesamten Streitmacht nach Rom ziehen.«
»Warum?«
»Das liegt auf der Hand.« Gerberts Stimme klang entschlossen, sein scharfer Verstand ließ keine Zweifel zu. »Sie wollen Papst Gregor aus der Stadt jagen. Verstehst du nicht, Alexius? Der Graf von Tusculum möchte beim Tod des Kaisers Rom in seine Hand bekommen und die einstige Machtrolle des Crescentius Nomentanus spielen: Er will Gregor absetzten und einen Verbündeten zum eigenen Papst ernennen! Vermutlich einen Verwandten … Ich würde mich nicht wundern, wenn Farfas Abt Hugo selbst mit dem Gedanken an den Apostolischen Stuhl liebäugelte.« Gerbert erschrak plötzlich über seine eigenen Worte. Nervös ging er auf und ab. »Jetzt ist mir alles klar, Alexius«, flüsterte er heiser. »Vermutlich wartet Abt Hugo bereits hier in Rom. Er selbst hat die Botschaft mit dem unterzeichnet und bittet den Grafen, die Krieger von Farfa und Tusculum nach Rom zu führen. Für ihren gemeinsamen Kampf um den Papstthron und um die weltliche Macht Roms, sobald der
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