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Das Siegel der Macht

Das Siegel der Macht

Titel: Das Siegel der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Dettwiler
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ich. Der angefangene Brief, der in Maxims Zelle gefunden wurde, war an Euch gerichtet. Ich habe es geahnt, als das Schiff auf dem spiegelglatten See vorwärts glitt. Ein Tag ohne Hindernisse. Alles würde sich klären.« Alexius war erleichtert und berichtete von den beiden beim Bischof von Chur gefundenen Briefen. Er verschwieg auch den Tod des Königsboten Carolus nicht.
    Der Bischof hing seinen Überlegungen nach. Dann schüttelte er den Kopf. »Das alles bringt uns nicht weiter. Wir müssen herausfinden, wer an jenem Abend mit Abt Witigowo eine Besprechung hatte. Und weshalb.«
    »Kann so Verhängnisvolles gesprochen worden sein, dass man einen Horcher deshalb ermordete?«
    »Oft wird für viel weniger getötet. Habt Ihr nicht von den Unruhen in den Reformklöstern gehört? Mönche aus Cluny wurden in fremden Monasterien im Schlaf ermordet, weil sie die strengen neuen Vorschriften ihrer burgundischen Abtei überall durchsetzen wollten.«
    »Wäre so etwas auch auf der Reichenau möglich?«
    »Nein. Heute schicken die Cluniazenser sicher keine Reformdelegation mehr nach der Reichenau. Hier gelten längst strenge Regeln. Manchmal scheint mir gar, als ob der Abt zu weit ginge. Aber ich weiß nichts Genaues. Seit Maxims Tod sind meine guten Verbindungen ins Kloster abgebrochen.«
    Alexius fühlte sich plötzlich seltsam mutlos. »Ich werde Carolus’ Tod vergessen müssen. Wir haben alles versucht, aber vergebens. Es ist nicht mehr möglich abzuklären, was damals wirklich passiert, was gesprochen worden ist.« Resigniert stand der Missus auf und nahm seinen Umhang.
    »Nein, wartet. Es gibt immer einen Weg. Wir müssen eine Vertrauensperson im Kloster finden. Jemand, der selbst zur Schlafstube Witigowos Zutritt hat.«
    Aufgeregt flüsterte Alexius: »Ich kenne vielleicht den richtigen Mann.«
    »Gut. Er muss die Korrespondenz des Klostervorstehers im Auge behalten. Alle Briefe lesen, die für Witigowo gebracht werden. Der Abt korrespondiert viel. Irgendeinmal werden jene Besucher ihm schreiben, sich auf die Unterredung im letzten Herbst beziehen. Wer weiß, vielleicht ist ein solches Schreiben längst angekommen und wartet darauf, dass Euer Freund es entdeckt.«
    »Nehmt das Blatt und versteckt es gut. Ich muss in die Klausur zurück.« Maurus holte keuchend Atem. Ohne anzuklopfen war der Arzt in Alexius’ Schlafkammer im Gästehaus gestürzt. Sein Gesicht war krebsrot angelaufen, der Schweiß perlte ihm über die Stirn. Verschwörerisch hielt er ein Pergamentstück vor die Augen des Kaiserboten. »Dieses Schreiben habe ich im Abthaus gefunden. Witigowo kam herein, als ich den Tisch in seinem Schlafraum durchsuchte. Er wollte mich am Gewand packen, aber ich war schneller.«
    »Hat er Euch erkannt?« Alexius schob das Pergament unter sein Hemd.
    »Die Kapuze hat mein Gesicht bedeckt. Aber ich bin mir nicht sicher.« Als Alexius ihm danken wollte, winkte der Mediziner ab. Ohne ein weiteres Wort eilte er die Treppe hinunter und durch den Garten. Aus dem Dunkel der Nacht warfen sich zwei Gestalten über ihn. Maurus spürte einen schmerzhaften Schlag auf seinem Kopf und fiel in Ohnmacht.
    Schweigen im Refektorium. Über neunzig Mönche beugten sich über ihre Schüsseln. Diese waren kaum zu einem Viertel mit Bohnen gefüllt. Brotstücke in der Größe einer Handfläche wurden in hungrige Münder geschoben.
    Ein Mönch stieß seinen Nachbarn mit dem Ellbogen an. Als der Mitbruder aufblickte, hielt er beide Hände schräg und presste sie zusammen. Das Zeichen für Käse. Der wortlos Angesprochene schüttelte den Kopf. Die spärlichen Hülsenfrüchte waren alles. Es gab keinen Käse, nicht einmal Fisch. Eine Kollektivstrafe?
    Die Blicke der Essenden waren auf die drei leeren Plätze gerichtet. Maurus, Martin, Pirmin fehlten. Niemand beachtete den Klosterbruder, der mit einem Buch die Treppe zur hölzernen Kanzel hochstieg. Als er mit monotoner Stimme einen Psalm vortrug, verklangen die Worte ungehört zwischen den Steinmauern, keiner vermochte sich zu konzentrieren. Mönchsaugen suchten einander. Demut lag nicht in ihnen, es war Auflehnung, Angst und Spannung.
    Der Hunger plagte weiter, als Witigowo im Kapitelsaal das Schweigen brach. Alle Klosterbrüder starrten gebannt auf ihren Abt.
    Witigowo war größer und hagerer als seine Mitbrüder, tiefe Furchen zeichneten seine Stirn. Im totenblassen Gesicht fielen vor allem die Augen auf. Eines war trüb und blickte starr geradeaus, das andere leuchtete hellblau und schien

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